
Altes Blech und neues Holz
85 und kein bisschen müde: Der jung gebliebene Oldtime-Posaunist Chris Barber ist mal wieder auf ausgedehnter Tournee. Mit seinem bestens eingespielten Tentett trat der Brite auch im Haller Neubausaal auf.
Zuletzt gastierte Chris Barber vor vier Jahren in Schwäbisch Hall – am 1. November 2011. Am Feiertag von Allerheiligen durfte erst recht nicht das fröhliche Beerdigungslied „O When The Saints“ fehlen. Und dass Barbers Welt-Hit „Ice Cream“ mit seinem berühmten Blödeltext über zuckerhaltige Nahrungsgenüsse schlussendlich als eingeplante Zugabe intoniert wird, gehört schon seit Jahrzehnten zur genau fixierten Programmabfolge.
Donald Christopher Barber, geboren am 17. April 1930 in der Grafschaft Hertfordshire, agiert vokal und instrumental immer noch ungebrochen. Einerseits verfügt er noch über eine flexible Tenorstimme, anderseits bläst er seine Zugposaune weich und heftig zugleich. Hohe Konzentration bei geschlossenen Augen – ein gewiefter Routinier, der Spontaneität nicht unbedingt meidet.
Ruhe und Gemächlichkeit ist nicht seine Art. Da steht der Senior vor dem Konzert, in der Pause und nach der Veranstaltung im Foyer am Plattenstand, verkauft signierte CDs und DVDs und lässt sich bereitwillig von Fans aller Altersklassen fotografieren und bequasseln. Hierin ganz das Gegenteil des norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek, welcher an gleichem Ort beim letzten Jazz-Art-Festival musizierte und sich gewohnt unnahbar zeigte…
In seiner zehnköpfigen Formation hat Chris Barber die Holzbläser inzwischen gänzlich ausgewechselt. Anstatt David Horniblow, Amy Roberts und Richard Exall spielen jetzt Bert Brandsma, Trevor Whiting und Nick White im schnellen Wechsel neben Klarinetten ein Arsenal von Saxophonen zwischen Sopran und Bass. Die Neulinge fügen sich professionell in das bewährte Konzept von Chris Barber ein: Exakte Bühnenchoreographie, kurze effektvolle Soli, die Noten im Kopf und nicht den Kopf in den Noten.
Der reguläre Schlagzeuger Gregor Beck musste auf dieser Tournee passen – er brach sich bei einem Kellersturz das rechte Sprunggelenk und musste 26 wertvolle Gigs absagen. Kurzfristig wurde er bei der Station in Schwäbisch Hall durch den Ulmer Kollegen Bernard Flegar vertreten, der übrigens im Besitz des bei dem 1956 gedrehten Hollywood-Streifen „High Society“ (in den Hauptrollen Grace Kelly, Bing Crosby, Frank Sinatra und Louis Armstrong) verwendeten weißen „Slingerland“-Drumsets ist.
Als unverzichtbares Bandmitglied gilt der gewitzt arrangierende Zweit-Posaunist Bob Hunt, der auch mal zur Trompete greift, um die hohe Blechbläser-Sektion von Mike Henry und Peter Rudeforth zu verstärken. Zur alten Garde gehören noch der flexible Bassist Jackie Flavelle und Joe Farler mit moderner Gitarre und antikem Banjo.
Von Paul McCartney wird der Spruch kolportiert: „Ohne Barber kein Lonnie Donegan, ohne ihn kein Skiffle, ohne Skiffle keine Quarry Men, und ohne Quarry Men keine Beatles“. Die Popmusik des Vereinigten Königreichs hat der Posaunist mit abgebrochenem Jura-Studium wesentlich mitgeprägt. Nach über einer sechzigjährigen Berufskarriere betreibt Chris Barber keinen bloßen Dixieland und gibt sich universell und weltoffen. Da intoniert er vertraute New-Orleans-Weisen, taucht in den turbulenten Swing-Stil eines Duke Ellingtons ein und lässt seine noble Smoking-Mannen ganz cool den „All Blues“ von Miles Davis intonieren.
Freilich: Absolute Novitäten serviert der erfolgreiche „Ice Cream“-Dealer nicht mehr, aber man konnte erneut eine unverwüstliche Legende erleben: Chris Barber, 85.