Eigentlich hätte Charlie Mariano bereits Anfang September zum 40jährigen Jubiläum des Clubs „alpha 60“ aufspielen sollen, doch damals musste der Altsaxofonist aus Krankheitsgründen kurzfristig absagen. Im nun nachgeholten Konzert bewies der inzwischen 83-jährige Amerikaner, dass er musikalisch (wieder) voll da ist. Als Duo-Partner am Kontrabass fungierte dieses Mal in der Hospitalkirche der Südbadener Dieter Ilg, 45.
Zuletzt trat Mariano dort Ende 2002 mit Ali Haurand auf. Sicherlich etwas weniger experimentell agierte demgegenüber jetzt Dieter Ilg. Grundsolide praktizierte dieser an seinem Saiteninstrument gerne geradezu eine orchestrale Mehrstimmigkeit, bewirkt durch Doppelgriffe, Flageoletts – und differenzierte Anschlagstechniken. Von sinnlosem Aktionismus und Effekthascherei keine Spur. Dafür viel Gespür, mit einfachen Mitteln artifiziell das metrisch-harmonische Grundgerüst zu liefern. Themenvorstellungen und die ausgedehnten Solobeiträge bildeten stets eine gediegene Einheit.
Mit dem vertrauten Swing-Standard „All The Things You Are“ begann der Abend, es folgten dann vor allem Eigenkompositionen von Mariano und Ilg, die ja zusammen bereits mehrere CDs aufgenommen haben. Eher abstrakt und rhythmisch-pointiert kommen da neue Kompositionen von Dieter Ilg daher. Und immer wieder gern gehört werden die betagten Ohrwürmer von Charlie Mariano – „Randy“ und „Plum Island“ beispielsweise.
Ein „Global Player“ der guten Art ist der am 12. November 1923 als Spross italienischer Einwanderer in Boston geborene Carmine Ugo Mariano fürwahr. Zunächst musizierte er noch mit Charlie Parker, Stan Kenton und Charles Mingus zusammen, intensive Studien führte Mariano in Indien und Malaysia durch, und in Japan war er eine Zeitlang mit der Pianistin und Komponistin Toshiko Akiyoshi verheiratet. Ans Land der aufgehenden Sonne erinnerte er sich bei einem Stück, in dem er die Holzflöte Shakuhachi und Ilg die Zither Koto nachahmte.
Da ein bisschen beschwingter Calypso, dort ein erdiger Blues. Vor allem aber Balladen, bei denen man einiges zu erzählen hatte. Nachdem Charlie Mariano zuvor schon Chopin und Schönberg huldigte, zeigte er sich als swingender Freund der italienischen Oper. Die populäre Tenorarie „Vesti la Giubba“ aus Ruggiero Leoncavallos „Pagliacci“ modelte er gewitzt in eine Kammermusik für Altsax und Jazzbass um.
Nach wie vor besticht Mariano durch seinen individuellen Sound. Hier paaren sich Beseeltheit mit Free-Jazz-Expressivitäten, hymnisches Spiel mit Lyrismen, Altersweisheiten mit jugendlicher Frische. Faszinierend seine ungebrochene Vitalität – von Schwanengesang keine Rede.
Der allererste Beifall brandete in der Hospitalkirche übrigens auf, als der Jugendreferent und Jazzkonzert-Organisator Dietmar Winter anfangs verkündete, dass für den Zeitraum vom 19. bis 22. April 2007 in Hall ein Jazzfestival vorbereitet werde.