Ryan Donohue lässt die Walking-Bass-Linien unbeirrt voranschreiten, die Saiten mit Slap-Technik knallen. Marko Jovanovic schleift die Blues-Notes in der Mundharmonika. Lars Vegas greift im schnellen „My Black Mama“ mit traditionellem Fingerpicking die Single-Note-Linien und Akkordreihen auf den Saiten, lässt die Glissandi im Bottleneck-Spiel jaulen, fügt hin und wieder einen Jodler ein. Nahe am Falsett interpretiert der Sänger zum vibratoreichen Mundharmonika-Spiel seine Version von „Sweet Home Chicago“, das mit einem „Sweet Home Berlin“ in ein Liebesbekenntnis zu seiner Heimatstadt einmündet. Die „Love Gloves“ von Lars Vegas waren in ihrem unbekümmerten und zugleich stilsicheren Umgang mit der Tradition, der leichten, tänzerischen und beswingten Form des Mississippi-Blues Liebling der gut tausend Besucher beim Bluesfestival 2002 in Lahnstein. „Deltabilly“ nennt Vegas treffend sein Spiel.
Der Blues lebt. Er lebt in vielfältiger Form, kommt leichtfüßig mit Country- und Cajun aus den Südstaaten, stampfend als urbane Form aus den Industriestädten des Nordens. Blues ist zur Folklore der Welt geworden, im Rhein-Neckar-Dreieck ebenso zu Haus wie in Houston/Texas.
Dies zu belegen ist einer der Verdienste des „Bluesikanten-Stadl“ im Südwestrundfunk, wo Tom Schröder die Fäden zieht. Aufgereiht an diesen Fäden waren diesem Jahr neben Vegas die beiden Shouterinnen Inga Rumpf und Jule Neigel, der Bluesikant Andreas Schmid-Martelle und der Amerikaner Roy Gaines mit seinen befrackten Blues-Gentlemen, deren Musik in so krassem Gegensatz zum Outfit steht.
Mehr noch als für Inga Rumpf gilt für Jule Neigel, dass sie mit ihrer Stimme weit tiefer in den Blues eintauchen könnte als sie es tut. Neigel hängt zu sehr an Pop-Songs, Rumpf geht voll in der Gospel-Berufung auf. In Lahnstein haben beide gezeigt, wozu sie in der Lage sind – Neigel mit einem rauen und kraftvollen „Blues in the night“ sowie mit einem gefühlvollen Gospel „Have al little Faith“. Mit solchen Möglichkeiten sollte sie ihre „zwei weißen Engel“ für einen schwarzen Teufel in die Wüste schicken.
Inga Rumpf hämmerte in Begleitung ihres Percussionisten Hilko Schomeros Taj Mahals „Cake walk into town“ in die Tasten und sang mit heiser getönten Blues-Feeling. Im Rest ihres Sets überbrachte sie „Good News“ mit großer Stimme, einfühlsam begleitet von ihren Begleiterinnen Nermin Gönenc und Chrissie Niemann. Ein tolles Programm voller Inbrunst für ein Gospelkonzert, aber bei einem Blues-Festival hätte man ein bisschen mehr Blues gewünscht. Für ihre Verdienste im Blues und die Förderung des Nachwuchses nahm die Sängerin den Ehrenpreis des SWR-Festivals, den „Blues-Louis“, entgegen.
Martelle ist ein ausgezeichneter Techniker auf den sieben verschiedenen Gitarren, die der in Frankfurt lebende Musiker spielt. Von der Tradition bis zum Rhythm´n & Blues, von Johnny Guitar Watson bis Stevie Ray Vaughn. Schnelle, rockende Blues-Stücke verführen ihn hin und wieder zu technischer Selbstdarstellung. Die überdeckt dann das Blues-Feeling, das seine langsameren Themen so hörenswert macht. Stets aufregend bleibt dieser elektrische Blues aus dem Rhein-Neckar-Delta.
Nach so viel Deutsch-Blues zogen Roy Gaines und seine Bluesmen das Publikum bis weit nach Mitternacht in ihren Bann. Gaines lässt die Musik kraftvoll rockend marschieren. Eine aggressive Gitarre, eine starke Stimme prägen diesen texanischen Stil. 60 Minuten Non-Stopp-Powerplay. Fasziniernd wie der 65-Jährige ohne Ermüdungserscheinungen den Blues röhrt, die schnellen Läufe gleichsam aus den Saiten heraus zerrt, kurze Single-Note-Linien anreißt, ostinate Bassfiguren unterlegt. Bewundernswert wie der Showman auf der Bühne hereumturnt, am Boden liegend die Läufe jaulen lässt, die Gitarre über Kopf im Naciken anreißt. Begleitet wird er von einem präzisen, soul-erfüllten Bläsersatz mit dem gleißendem Trompetenton von George Pandis, den endlose zirkulierenden Saxophon-Chorussen Dean Rubicheks, den perlenden Pianoläufen von Bob Welch sowie den treibenden Rhythmen des Schlagzeugers Robbie Bean. Der Groove ist da, reißt die Zuhörer mit, doch der Sound ist auf Dauer zu gleichförmig. Ein bisschen Shuffle, ein bisschen Boogie, ein bisschen Soul. Eine künstlerisch niveauvollen Blues-Mixtur. Nach den fünften Stück aber hat der Bluesfan das Gefühl, alles gehört zu haben – und kann sich auf das virtuose Gitarrenspiel von Roy Gaines konzentrieren. Das ist mehr als tröstender Ausgleich.