2016 trat der Saxophonist beim Jazz-Art-Festival in Hall auf: Emil Mangelsdorff ist 96-jährig verstorben
Am 11. April 1925 wurde Emil Mangelsdorff in Frankfurt am Main geboren – und bis ins hohe Alter hinein spielte der international renommierte Saxophonist quicklebendig. Mitte März 2016 eröffnete der schnellswingende Virtuose das 10. Internationale Jazz-Art-Festival in Schwäbisch Hall. Einen knappen Monat vor seinem 91. Geburtstag berichtete der Zeitzeuge damals zunächst in der Hospitalkirche um 10 Uhr vor staunenden Jugendlichen von seiner Zeit in der Nazi-Ära, als „Swing tanzen verboten“ war und er von der Gestapo verhaftet wurde. Am Abend trat Emil Mangelsdorff dann mit seinem regulären Quartett konzertmäßig auf. Jetzt ist der ältere Bruder des Posaunisten Albert Mangelsdorff (1928-2005) 96-jährig verstorben.
„Ich bin sehr bestürzt“, teilte der Ministerpräsident des Landes Hessen, Volker Bouffier mit. Mangelsdorff habe sich nicht nur um die Kultur verdient gemacht, „sondern als Zeitzeuge der dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte Erinnerungsarbeit geleistet“. Hessen zeichnete Mangelsdorff unter anderem mit der Leuschner-Medaille, der Goethe-Plakette und dem Jazzpreis aus. Er trug auch das Bundesverdienstkreuz.
Hans Kumpf führte mit dem geistig überaus wendig gebliebenen Musiker ein von der Warschauer Fachzeitschrift „Jazz Forum“ bestelltes Interview, das immer noch in der Mediathek vom Haller Radio StHörfunk nachzuhören ist: http://sthoerfunk.de/blog/post.php?s=2016-03-18-mit-emil-mangelsdorff
I remember Sopot 1957: Flugblätter vom Flugzeug
Emil Mangelsdorff zum historischen Jazz Festival an der polnischen Ostsee
Der Jazz gelangte ganz groß an die polnische Öffentlichkeit – und wortwörtlich auf die Straße – 1956 beim ersten nationalen Festival im Seebad Zoppot (Sopot). Für den internationalen Touch an der Ostsee sorgten dabei eine tschechoslowakische und eine englische Formation. Dank des überwältigenden Erfolgs wagten es die studentischen Organisatoren, im Folgejahr die Festivität erheblich auszuweiten. Nun dienten dem wieder einwöchigen „II Festiwał Muzyki Jazzowej“ vom 14. bis 21. Juli 1957 als Veranstaltungsorte sowohl die berühmte Waldoper als auch ein Sportstadion und eine Werfthalle in der Nachbarstadt Danzig. Gleich mehrere Bands aus Deutschland wurden hierzu eingeladen, was zwölf Jahre nach Ende der furchtbaren Okkupation und des Krieges einer politischen Sensation gleichkam, nämlich die West-Berliner „Spree City Stompers“ und unabhängig davon diverse moderne Musiker aus Frankfurt, dominiert von den Bläsern Albert und Emil Mangelsdorff sowie Joki Freund.
Die Geburtsstunde der polnisch-deutschen Jazzkooperationen wurde immer wieder gefeiert, so 1997 und 2007. Auch 2017 wurde das 60-jährige Jubiläum gewürdigt.
Hans Kumpf: An was kannst Du Dich noch genau erinnern von „Sopot 1957“ im Juli?
Emil Mangelsdorff: Das ganze Ereignis war eigentlich ziemlich groß aufgezogen. Wir waren im Stadion von Danzig, wo Leopold Tyrmand, ein damals sehr bekannter Schriftsteller, eine Eröffnungsrede hielt. Während er sprach, kam ein Flugzeug und warf Flugblätter über dem Stadion ab. Das war natürlich, gemessen an den Dingen, die wir als Jazzmusiker in Deutschland erfahren, wenn wir unterwegs sind, eine großartige Sache, die wir noch nicht kannten. All dies war für uns natürlich sehr beeindruckend. An dieses denke ich zuerst beim Stichwort „Polen“. Dann denke ich an die Konzerte, die von sehr vielen Leuten besucht worden sind. Ich glaube, in einem Fall waren da fünftausend Menschen in einer Fabrikhalle…
HK: …in der Danziger Werft…
EM: Ja. Überhaupt war das ganze Ereignis eben, dadurch auch, dass wir jeden Tag ein Mittagessen einnahmen, zu dem man zu uns Intellektuelle geschickt hat und mit denen wir diskutieren konnten. Als unser amerikanischer Teilnehmer Bill Ramsey mit diesen Intellektuellen über amerikanische Literatur sprach, stellte sich heraus, dass diese bestens beschlagen waren und sich wunderbar auskannten – zum Erstaunen von uns allen. Wir haben mit diesen Menschen sehr anregende Tage gehabt. Von allem anderen abgesehen, waren auch die musikalischen Auftritte von uns jeweils ein großer Erfolg.
HK: Du hast ja mit eigenem Ensemble gespielt und dann in der Gruppe von Joki Freund….
EM: Wir waren eigentlich die Gruppe von Joki Freund. Weil ich als Swing-Musiker in der Art von Benny Goodman spielen konnte, hatten wir sozusagen das eine Bein im Swing und das andere im Modern Jazz. Die Arrangements, die wir hatten, waren von Albert, überwiegend aber von Joki Freund. Er war ja in ganz Deutschland bekannt als ein sehr guter Arrangeur. Die polnischen Musiker kamen zu uns ins Hotel und haben gefragt, ob sie die Arrangements abschreiben dürften. Das war natürlich klar, dass die das machen konnten.
HK: Ihr habt nur in der Werfthalle von Danzig gespielt?
EM: Nein, nicht nur. Es gab auch regionale Jam Sessions. Im Kurhaus war etwas…
HK: …von Sopot…
EM: Ja, von Sopot. Wir hatten dann auch Kontakt mit polnischen Musikern. Ich glaube, dies war ein Ereignis, das für Polen wichtig war. Denn sie haben mit uns Jazzmusikern die ersten Kontakte hergestellt zur Kultur allgemein in Deutschland, weil verständlicherweise nach dem Krieg, nach den Exzessen, die die Nazis auch gegenüber den Polen verübten, nachdem dort viele Menschen ermordet worden sind, waren wir Botschafter eines anderen, eines besseren Deutschlands. Dass die polnischen Veranstalter Jazzmusiker ausgesucht haben, kann man vielleicht damit begründen, dass sie wussten, dass die Jazzmusiker wohl am unverdächtigsten waren, ehemals Nazis gewesen zu sein.
HK: Habt Ihr oder hast Du auch in der Waldoper von Sopot gespielt?
EM: Daran erinnere ich mich nicht.
HK: Dort war nämlich die Abschlussveranstaltung, und der Berliner Posaunist Hawe Schneider hat zusammen mit Polen gejamt. Hast Du das Gefühl gehabt, dass Du vom Geheimdienst beobachtet worden bist?
EM: Nein, überhaupt nicht. In keinem einzigen Fall hatte ich das Gefühl, dass wir beäugt worden sind oder man uns verfolgt. In keinster Weise, das ist nicht vorgekommen. Ich fand das ganze Leben dort sehr liberal gestaltet – jedenfalls war es so zu der Zeit, als wir da waren.
HK: Hast Du danach noch in Polen gespielt?
EM.: Ja, ich war in Polen außer in Krakau noch im ehemaligen Allenstein, dem heutigen Olsztyn.
HK: Dort wurde 1997 eine Gedenkveranstaltung für „Sopot 1957“ aufgezogen – zum 40-jährigen Jubiläum. Hier warst ja Du erneut dabei. Die Sache ist nicht so groß rausgekommen, wie sie ursprünglich geplant war. Wie war es damals?
EM: Das war zusammen mit vielen anderen polnischen Musikern, die alle wunderbar gespielt haben. Es waren sehr gute Musiker, die ich da kennengelernt habe. Weil wir damals keinen eigenen Pianisten mitgebracht hatten, spielten wir mit einem jungen polnischen Pianisten, der mir sehr gut gefallen hat.
HK: Weißt Du noch seinen Namen?
EM: Nein. Vielleicht wissen sie es dort…
HK: Du hast jetzt in Deinem Quartett jetzt als Polen noch Janusz Stefanski. Wie hast Du ihn kennen gelernt?
EM: Janusz Stefanski hat früher mal mit Hans Koller gespielt bei einem Jazz Festival in Frankfurt, und mit dieser Gruppe durfte ich auftreten. Seither sind wir miteinander bekannt, seitdem weiß ich, wie gut er spielt. Wir haben mit kleinen Unterbrechungen fast drei Jahrzehnte zusammen musiziert.
HK: Ich weiß noch, als Du 1992 in einer Ludwigsburger Buchhandlung „Jazz + Lyrik“ gemacht hast mit dem Rezitator Edgar M. Böhlke – da war Janusz auch schon dabei. Außerdem hast Du lange mit Vitold Rek zusammen gearbeitet…
EM: Wir waren sozusagen paritätisch besetzt – zwei Polen und zwei Deutsche!
HK: Was denkst Du über Vitold Rek?
EM: Das ist ein wunderbarer Bassist! Er spielt sehr interessant mit seiner Bogentechnik. Das ist ein Novum im Jazz, abgesehen davon, dass in Amerika einige Bassisten bekannt geworden sind, dass sie mit dem Bogen Jazz gespielt haben.
Interview am 17.3.2016 in Schwäbisch Hall(Schlagzeuger Janusz Stefanski ist bereits am 14.11.2016 verstorben)
Fotos von Emil Mangelsdorff von Hans Kumpf