Wie aus Sunny Wolle wurde – noch als „Star“ ein Kumpel

LUDWIGSBURG/SCHWÄBISCH HALL/BACKNANG. Völlig unerwartet erreichte auch mich die Nachricht vom Tod des vermeintlichen Schwabenrockers Wolle Kriwanek. Im Radio und in der Presse geriet das Ableben des in die baden-württembergischen High Society aufgestiegenen Musikers zu einem Topthema. Doch – nicht nur bei seinen alten Freunden – bleibt Kriwanek in Erinnerung als ein bescheiden gebliebener Mensch, der um sich keinen Kult machte und trotzdem voller Enthusiasmus für die Musik da war.

Als ich im Wintersemester 1970 mein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg aufnahm, fand ich alsbald zu den Jazzern der Lehrerbildungsanstalt. Wolfgang Kriwanek war da die herausragende Figur. Und da sein Markenzeichen der Soul-Hit „Sunny“, den er im Timbre Ray Charles äußerst schwarz intonierte, war sein Rufname eben „Sunny“. Unvergesslich bleiben mir die Sessions in kleinen Übezellen, wo wir zusammen mit einem Pianisten musikalisch unbekümmert loslegten. Da improvisierte er auf spontan-kreative Weise so manchen Blues – nicht in semantikfreier Scat-Manier, sondern auch mit unmittelbar erfundenen Text. Das Tagesgeschehen und aktuelle Stimmungen fanden hier einen lustig-intensiven Niederschlag.

Wolfgang Kriwanek hatte die Fächer Geografie und Englisch belegt, während ich Musik und Deutsch studierte. Da nahm ich den Autodidakten mit zu meinem klassischen Gesangsunterricht, wo Gerda Rilling uns in die Künste der Zwerchfellatmung einwies – und ihn dann zu Konzerten engagierte.

Er wiederum lotste mich ins Backnanger Rathaus. In der Gerberstadt hatte Kriwanek beim allerersten Straßenfest im Jahre 1971 den Schlagerwettbewerb gewonnen. Nun landete ich dort im Organisationsteam. Als der Vorjahressieger 1972 erneut vor der Kreissparkasse mit seinem „Bad’wanna-Blues“ auftrat, hielt sich die Euphorie des Publikums in Grenzen. Ich war von dem seiner Originalität überzeugt und wollte mit und für ihn ein Demo-Tonband herstellen. Also fuhren wir zu meiner alten Schule nach Michelbach/Bilz, wo wir im Andachtsraum des Schlosses einen guten Flügel hatten. Ich baute meine Sennheiser-Mikrofone und mein Uher-Gerät auf – und hatte eine mit Wasser gefüllte Schüssel präsent, um mit Plätschern für Stimmung zu sorgen. Wenig später riet ich ihm, so wie ich es mit meiner Avantgarde-Gruppe „AK Musick“ im Tonstudio Bauer bewerkstelligt hatte, auch in Eigenregie und finanzieller Selbstverantwortung eine eigene Platte herauszubringen. Doch Kriwanek hielt nach einem professionellen Label Ausschau.

Als dann 1975 die Polydor den „Bad’wanna Blues“ auf einer 17cm-Vinylsingle (B-Seite: „Denn i mog di“) herausbrachte, staunte Wolfgang „Sunny“ Kriwanek nicht schlecht, dass er auf der Steckhülle plötzlich „Wolle Kriwanek“ hieß. Zu unserem Erstaunen ließ die Plattenfirma verlauten, dass der eigentlich glatthaarige Sänger wegen seiner – künstlich herbeigeführten – Lockenpracht im Freundeskreis „Wolle“ genannt werde. Besonders geärgert hat es ihn noch, dass die norddeutschen Zensoren in seinem schwäbischen Text herumfuhrwerkten. Ganz aufgesetzt wirkt auf der schwarzen Scheibe der Schlussgag „Des isch am Beckenrand mein Dreck“, hieß es doch in der Urfassung „Des isch am Beckarand mei Dreck“.

Der Süddeutsche Rundfunk, mit dem Wolfgang Kriwanek zu Beginn der siebziger Jahre keineswegs ein herzliches Verhältnis verband, nahm mit ihm dann im sauberen Badezimmer-Ambiente einen Videoclip auf. Bevor er mit seiner „Lila Tilla“ zur „Drehscheibe“ des ZDF fuhr – übte Kriwanek bei mir im Wohnzimmer vor meiner schwarz-weiß-Videokamera die adäquaten Fernsehposen. Er selbst begleitete sich damals auf der Gitarre, wobei der ehemalige Jungschar-Klampfer selbst allzu gut wusste, dass seine instrumentaltechnischen Fähigkeiten nicht beträchtlich waren…

Der Erfinder des hehäbigen Walzers „I fahr Daimler“ musste sich damals übrigens mit einem älteren Opel-Caravan begnügen, und einen Videorecorder konnte er sich erst relativ spät leisten.

In den TV-Studio ging dann Kriwanek ein und aus. In der Rolle als schauspielender Sänger lernte er Caterina Valente kennen – und begeisterte sich für deren wohlbehaltene Figur.

Auf Widerstande stieß ich anfangs, als ich Wolle im Ludwigsburger Jazzclub auftreten lassen wollte. Vielfach war er damals noch ein Nobody. Zusammen mit Matthias Thurow, der von Eberhard Weber die Bassisten-Stelle im Trio des Pianisten Wolfgang Dauner geerbt hatte, bildete er ein Duo, mit dem ich ihn Anfang September 1976 zu den Schwäbisch Haller Straßenspiele holte. Geld hatte die Bausparkassen-Stadt schon damals nicht – und Wolle Kriwanek trat ohne Honorar auf. Musik bedeutete ihm alles, das Geldverdienen damit erschien ihm weniger wichtig. Bis an sein Lebensende ließ er sich nicht lumpen, bei Benefizveranstaltungen aufzutreten.

Immer wieder ließ sich der 1949 in Stuttgart-Stammheim – sein Vater betrieb dort einen Fotoladen – geborene Kriwanek für Sport-Projekte. Das erste große Ding war 1986 die Leichtathletik-Meisterschaft im Neckarstadion. Er entwickelte den vielsprachigen Song „Ready, Steady, Go!“ und bat mich, da ich in den Vorjahren wiederholt in der Sowjetunion mit meiner Klarinette gejazzt hatte, ein paar russische Liedzeilen zu organisieren. Zum Massenschlager wurde freilich die bewegende und einträchtige Multi-Kulti-Nummer nicht.

In letzter Zeit trafen wir uns zumindest beim Backnanger Nachwuchsfestival, wo er als Mitglied der Jury fungierte. Stets gut gelaunt war er da, lachte und war freundlich – er ist ein Kumpel geblieben. Für mich erschien es sowie phänomenal, wie er neben seiner Lehrertätigkeit noch so viel Energie als Musiker aufbringen konnte. Und wenn ich in meinem Schulunterricht die „Straßaboh“ laufen lassen wollte, zögerte er nicht, mir mittels E-Mail umgehend seinen Liedtext zukommen zu lassen. Und wenn ich im Internet oder in Zeitungsexemplaren eine Kritik über ihn entdeckte, freute er sich über die Zusendung. Bei all der im Ländle erreichten Popularität entwickelte sich bei ihm nie eine Arroganz. Die Titulierung „Schwabenrocker“ missfiel ihm bekanntlich, für mich war er von Anfang an ein fantastischer Blueser. So manch hochgelobte amerikanische Vokalisten könnte sich an seinen Improvisationsfähigkeiten eine Scheibe abschneiden…

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