„Wissen“ im Fokus der 27. Festivalausgabe
Das Enjoy Jazz Festival findet vom 2. Oktober bis 8. November 2025 in der Metropolregion Rhein-Neckar statt und widmet seine 27. Ausgabe dem Motto „Knowing“. Das Festival für Jazz und verwandte Musikformen präsentiert Veranstaltungen in Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen sowie erstmals in Neustadt an der Weinstraße.
Den Auftakt gestaltet der französisch-libanesische Trompeter Ibrahim Maalouf am 2. Oktober im BASF-Feierabendhaus Ludwigshafen. In Co-Produktion mit dem BASF-Kulturprogramm präsentiert das Festival den Musiker mit seinem 11-köpfigen Ensemble und dem Programm „The Trumpets of Michel-Ange“. Maalouf spielt eine von seinem Vater entwickelte Vierteltontrompete mit zusätzlichem Ventil, die Töne außerhalb der 12-Ton-Skala ermöglicht und eine Brücke zwischen Jazz, Rock, afrikanischer Rhythmik und arabischer Folklore schlägt.
Auch das Abschlusskonzert am 8. November wird von einem internationalen Künstler aus der arabisch geprägten Musikwelt bestritten, dem tunesischen Oud-Virtuosen Anouar Brahem mit seinem Programm „After the Last Sky“ in der Christuskirche Mannheim. Brahem hat die gleichnamige Platte Ende März 2025 auf seinem Hauslabel ECM veröffentlicht. Seit 40 Jahren wandelt er zwischen den musikalischen Welten und verbindet in seinem neuen Programm auf berührende Weise Improvisation mit arabischer Musik.
Ein Label als Artist in Residence? Warum nicht…
Originell ist die Ernennung des Labels Jazz Is Dead zum Artist in Residence. Das 2017 von Adrian Younge und Ali Shaheed Muhammad gegründete Projekt begann als provokanter Kommentar zur Lage des Genres in Los Angeles und entwickelte sich zu einer Plattform für musikalische Erneuerung. Das Label verbindet Jazz, Soul und Hip-Hop mit politischem Anspruch und analogem Sound und gilt als kreatives Epizentrum einer neuen Generation afroamerikanischer Musiker. Den Höhepunkt bildet eine Europa-Premiere: die große Jazz Is Dead-Night am 17. Oktober im Heidelberg Congress Center mit Labelgründer Adrian Younge, Saxofon-Legende Gary Bartz und dem vielseitigen Sänger Bilal.
Archie Shepp und Christopher Dell als Preisträger
Der mit 10.000 Euro dotierte „Christian Broecking Enjoy Jazz Award“ 2025 geht an den Saxofonisten, Komponisten, Sänger, Labelbetreiber, Autor, Bürgerrechtsaktivisten und Hochschulprofessor Archie Shepp. Der Preis wird seit 2023 alljährlich von Enjoy Jazz mit Unterstützung der Manfred Lautenschläger Stiftung vergeben. Die Stiftung ist zugleich langjähriger Premiumförderer des Festivals. Shepp hat die Jazz-Avantgarde des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt, war an bedeutenden Aufnahmen beteiligt und veröffentlichte Meisterwerke wie „The Magic of Ju-Ju“, „Attica Blues“ und „Fire Music“. Seine klar politische Musik hat sich zu einem Streben nach Würde, Gleichheit und Gerechtigkeit entwickelt. Shepp lehrte jahrzehntelang an US-Universitäten, zuletzt an der University of Massachusetts Amherst. Seine 1965 erschienene Abrechnung mit dem strukturellen Rassismus in den USA („An Artist speaks bluntly“) ist ein scharfsinniger Beitrag zum zivilgesellschaftlichen Diskurs.
Enjoy Jazz Künstler 2025 – Photos: Frank Schindelbeck Jazzfotografie
Ein weiterer Höhepunkt des Festivals ist das SWR Jazzpreis-Konzert mit dem Vibraphonisten Christopher Dell am 29. Oktober im BASF-Gesellschaftshaus Ludwigshafen. Der SWR Jazzpreis zählt zu den renommiertesten Auszeichnungen der deutschen Jazzszene, und das Preisträgerkonzert beim Enjoy Jazz Festival unterstreicht die besondere Bedeutung der Veranstaltung für den Jazz in Deutschland.
Kunstplakat von Julie Mehretu
Das diesjährige Festivalplakat stammt von der US-amerikanischen Künstlerin Julie Mehretu. Die 1970 in Addis Abeba geborene Künstlerin entwickelte eine eigene Formensprache aus abstrakten Kompositionen, die Themen wie Migration und Identität widerspiegeln. Besonders der Jazz mit seinem Wechselspiel aus Ordnung und Improvisation beeinflusst Mehretus Schaffen nachhaltig. Dem Enjoy Jazz Kunstplakat 2025 liegt ihr Werk „Basement Tapes 1“ zugrunde, das Jazz in Farbe, Form und Rhythmus übersetzt.
Programm-Highlights und Premieren
Zu den weiteren Höhepunkten des Festivals zählen Auftritte des südafrikanischen Pianisten Abdullah Ibrahim und der österreichischen Elektro-Pioniere Kruder & Dorfmeister. Das Wiener Duo Peter Kruder und Richard Dorfmeister gehört zu den bekanntesten österreichischen Musikern und ist auch außerhalb Europas erfolgreich. Kruder & Dorfmeister spielten bereits 1999 mit ihren seinerzeit frisch veröffentlichten „The K&D Sessions“ das Abschlusskonzert des allerersten Enjoy Jazz Festivals im Karlstorbahnhof Heidelberg. Ihr Stil reicht von Downtempo und Dub über Electronica bis Trip-Hop, und sie haben zahlreiche Remixe veröffentlicht, unter anderem für Madonna, Depeche Mode und Roni Size.
Der Ludwigshafener Schlagzeuger Erwin Ditzner präsentiert sich gleich zweimal: Am 5. Oktober stellt er zusammen mit Elliott Sharp ihre Live-LP vor, die beim vergangenen Enjoy Jazz Festival aufgezeichnet wurde und beim Neckarsteinacher Label fixcel records erscheint. Das Release-Konzert findet im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen statt. Am 12. Oktober spielt Ditzner seine „Carte Blanche“ erstmals solo mit Visuals von Benjamin Jantzen in der Alte Feuerwache Mannheim. Visuelles – ein Film – ist auch Bestandteil des Konzerts von Claus Boesser-Ferrari und Joss Turnbull – die Dritte im Bunde, Mia Ferrari, ist dafür zuständig.
Der US-amerikanische Saxofonist und Flötist Charles Lloyd gastiert mit seinem Sky Quartet bei einem Encore-Konzert am 18. November in der Christuskirche Mannheim, das außerhalb des eigentlichen Festivalzeitraums stattfindet. Ihre ersten gemeinsamen Konzerte überhaupt geben der US-amerikanische Flötist Shabaka mit dem südafrikanischen Pianisten Nduduzo Makhathini sowie das griechisch-norwegische Duo aus Pianistin Tania Giannouli und Trompeter Nils Petter Molvaer.
Erstmals präsentiert das Festival Veranstaltungen in Neustadt an der Weinstraße. In Kooperation mit der Stadt gastiert die Gruppe Loco Cello um den französischen Cellisten François Salque im Festsaal des Hambacher Schlosses. Der armenische Pianist Tigran Hamasyan tritt mit seinem Trio im Saalbau Neustadt an der Weinstraße auf.
Eine weitere Premiere feiert das Live-Philosophy-Format „Sophia Club“, das bislang zeitgeschichtlich relevante, philosophisch-künstlerische Themen nach Melbourne, New York und London brachte. In Kooperation mit Aeon Media, Herausgeber der Online-Magazine „Aeon“ und „Psyche“, veranstaltet Enjoy Jazz in Heidelberg von nun an viermal im Jahr den „Sophia Club“. Den Auftakt macht eine Veranstaltung zum Festivalmotto „Knowing“.
Starke Musikerinnen im Programm
Abgesehen von der Headlinerin Dee Dee Bridgewater, der lokalen Größe Alexandra Lehmler und der fast schon zum Festivalinventar gehörigen Pianistin Tania Giannouli, wartet das diesjährige Festival mit einigen ganz besonders interessanten Musikerinnen auf. Die Berliner Sängerin Jelena Kuljić ist dabei, gleich zwei fantastische weitere Saxophonistinnen: Camila Nebbia und Mette Rasmussen (letzere mit einer Brötzmann Hommage) und – ebenfalls aus Berlin – die Schlagzeugerin Katharina Ernst mit ihrem Soloprogramm. Die Cellistin Tomeka Reid wird mit Saxophonistin Angelika Niescier und Eliza Salem im Trio auftreten.
Motto „Knowing“ als thematischer Rahmen
Das Festivalmotto „Knowing“ setzt die Reihe thematisch profilierter Ausgaben nach „Trust“ (2022) und „Healing“ (2023) fort. Wissen ist heute mehr denn je gefragt und zugleich gefährdet. In einer Welt, in der Meinung allzu oft Erkenntnis ersetzt und Rechthaben wichtiger scheint als Verstehen, will „Knowing“ daran erinnern: Wissen ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Es entsteht aus Daten, wächst durch Beziehung und wird erst durch Verständnis wirksam. Wissen schafft nicht nur Wirklichkeitsräume, sondern auch Möglichkeitsräume – Räume, in denen Zukunft denk- und gestaltbar wird.
Obwohl mehr gewusst wird als je zuvor – über den Klimawandel, über den Verlust von Freiheit oder über gesellschaftliche Ungleichheiten – folgt daraus zu selten entschlossenes Handeln. Was fehlt, ist Resonanz: das innere Mitklingen mit dem, was gewusst wird. Genau hier setzt „Knowing“ an – als Frage und als Impuls, vermittelt durch die Kunst und insbesondere durch den Jazz als Ausdruck von Freiheitsstreben, Dialog und kulturellem Wissen. Der Jazz wurde verfolgt und gefeiert, war Stimme von Bewegungen, Brücke zwischen Welten und System kollektiver Verständigung. Das Enjoy Jazz Festival will Denkprozesse anstoßen, Erfahrungsräume schaffen und Fragen stellen, ein Ort für Austausch sein, in dem Kunst und Erkenntnis aufeinandertreffen.
Das Programm, Stand 250702
Datum | Veranstaltung | Ort |
---|---|---|
02.10. | Eröffnungskonzert: Ibrahim Maalouf | BASF-Feierabendhaus Ludwigshafen |
03.10. | Matinee: Katharina Ernst | Betriebswerk Heidelberg |
03.10. | Johanna Summer & Malakoff Kowalski | Aula der Alten Universität Heidelberg |
04.10. | Film: I Am the River, the River Is Me | Karlstorkino Heidelberg |
04.10. | Tribute to Peter Brötzmann: Heather Leigh & Rasmussen-Pliakas-Wertmüller | Villa Nachttanz Heidelberg |
05.10. | LAUT! Der Enjoy Jazz Kindertag | Karlstorbahnhof Heidelberg |
05.10. | Enjoy Jazz Schulbigband | Karlstorbahnhof Heidelberg |
05.10. | Ditzner – Sharp Release Konzert | Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen |
06.10. | Doppelkonzert: Shalosh / Davidavi Dolev | dasHaus Ludwigshafen |
07.10. | Brandee Younger Trio | Karlstorbahnhof Heidelberg |
08.10. | Yazz Ahmed | dasHaus Ludwigshafen |
09.10. | Loco Cello | Hambacher Schloss Neustadt an der Weinstraße |
10.10. | Abul Mogard & Rafael Anton Irisarri | Heiliggeistkirche Heidelberg |
11.10. | Film: Deep Listening: The Story of Pauline Oliveros | Karlstorkino Heidelberg |
11.10. | Nik Bärtsch’s RONIN [mit Artist-Talk] | Karlstorbahnhof Heidelberg |
12.10. | Matinee: Knowing – Der DLF-Talk | Enjoy Jazz Pop-up Space Heidelberg |
12.10. | Carolin Emcke & Anja Lechner | Karlstorbahnhof Heidelberg |
12.10. | Erwin Ditzners Carte Blanche | Alte Feuerwache Mannheim |
13.10. | Annie & The Caldwells | Alte Feuerwache Mannheim |
14.10. | Shabaka & Nduduzo Makhathini [mit Artist-Talk] | Alte Feuerwache Mannheim |
15.10. | Irreversible Entanglements | Alte Feuerwache Mannheim |
16.10. | Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna | dasHaus Ludwigshafen |
17.10. | Michael Wollny solo [mit Artist-Talk] | Schlosstheater Schwetzingen |
18.10. | Film: Monk in Pieces | Cinema Quadrat Mannheim |
18.10. | SOAP&SKIN | Karlstorbahnhof Heidelberg |
19.10. | Matinee: Camila Nebbia | Enjoy Jazz Pop-up Space Heidelberg |
19.10. | Jelena Kuljic | dasHaus Ludwigshafen |
20.10. | Simin Tander [mit Artist-Talk] | Karlstorbahnhof Heidelberg |
21.10. | Thomas D. & The KBCS [Tickets via Gewinnspiel auf enjoyjazz.de] | PHOENIX group COLAB Mannheim |
21.10. | Claus Boesser-Ferrari, Joss Turnbull & Mia Ferrari | Alte Feuerwache Mannheim |
22.10. | Alexandra Lehmler invites Apollonio Maiello & Jörg Brinkmann | Alte Feuerwache Mannheim |
23.10. | Enji | dasHaus Ludwigshafen |
24.10. | Listening Bar: Mica Miliar | Hirsch+ Ille Mannheim |
24.10. | James Brandon Lewis Quartet | Karlstorbahnhof Heidelberg |
25.10. | Film: Soundtrack to a Coup d’Etat | Cinema Quadrat Mannheim |
25.10. | Mica Miliar | BASF-Gesellschaftshaus Ludwigshafen |
25.10. | Gee Hye Lee Trio feat. Jakob Bänsch und Sandi Kuhn | Franz-Danzi-Saal Schwetzingen |
26.10. | Matinee: François Couturier & Dominique Pifarely | Franz-Danzi-Saal Schwetzingen |
26.10. | Vincent Peirani | Karlstorbahnhof Heidelberg |
27.10. | Angelika Niescier / Tomeka Reid / Eliza Salem [mit Artist-Talk] | Karlstorbahnhof Heidelberg |
28.10. | Vijay Iyer & Wadada Leo Smith [mit Artist-Talk] | BASF-Gesellschaftshaus Ludwigshafen |
29.10. | SWR Jazzpreis: Christopher Dell | BASF-Gesellschaftshaus Ludwigshafen |
29.10. | corto.alto | Karlstorbahnhof Heidelberg |
30.10. | Tania Giannouli & Nils Petter Molvaer [mit Artist-Talk] | Friedenskirche Ludwigshafen |
31.10. | Dee Dee Bridgewater Quartet | BASF-Feierabendhaus Ludwigshafen |
01.11. | The Young Mothers | Betriebswerk Heidelberg |
02.11. | Matinee: Shai Maestro Quartet | Betriebswerk Heidelberg |
02.11. | Kruder & Dorfmeister – K&D Sessions Live | Heidelberg Congress Center |
03.11. | Tigran Hamasyan Trio | Saalbau Neustadt an der Weinstraße |
04.11. | ganavya | Karlstorbahnhof Heidelberg |
05.11. | Abdullah Ibrahim Trio | Pfalzbau Ludwigshafen |
06.11. | Listening Bar: Tina Edwards | Hirsch+ Ille Mannheim |
06.11. | Makaya McCraven | Alte Feuerwache Mannheim |
07.11. | Triple-Konzert: Jazz Is Dead | Heidelberg Congress Center |
08.11. | Abschlusskonzert: Anouar Brahem Quartet | Christuskirche Mannheim |
18.11. | Encore: Charles Lloyd Sky Quartet | Christuskirche Mannheim |
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