Klaus Mümpfer: The Bad Plus und hr-Bigband mit Jim McNeely bearbeiten Strawinskys „Sacre du Printemps“

Jim McNeely - Foto: Klaus Mümpfer

The Bad Plus und hr-Bigband mit Jim McNeely bearbeiten Strawinskys „Sacre du Printemps“

Die New York Times berichtete am 8. Juni 1913 von der Uraufführung des Strawinsky-Ballett „Sacre du Printemps“: „Die Pariser pfeifen das neue Ballett aus. Der Intendant musste das Licht anschalten, um die feindseligen Proteste zu beenden.“ Ein Kritiker fand für den Eklat die Formulierung „Massacre du Printemps“. Später galt des dritte der drei großen Ballett-Musiken von Igor Strawinsky aufgrund seiner außergewöhnlichen rhythmischen und klanglichen Struktur sowie wegen seiner zahlreichen Dissonanzen als ein Schlüsselwerk der Musik des 20. Jahrhunderts.

Nun haben sich in der jüngeren Vergangenheit zwei höchst unterschiedliche Jazz-formationen des umstrittenen Strawinsky-Werkes angenommen: Das amerikanische Piano-Trio „The Bad Plus“ sowie die deutsche hr-Bigband unter ihren Chefdirigenten Jim McNeely, die bereits mehrfach gemeinsam musizierten. Für ihr jüngstes gemeinsames Konzert in der Rüsselsheimer „Jazzfabrik“ hatte McNeely Kompositionen der drei Künstler für den Auftritt mit der Bigband neu arrangiert.

Klaus Mümpfer, sprach mit Jim McNeely und den Musiker von „The Bad Plus“ darüber, was sie an Strawinsky reizt und ob sie sich ein gemeinsames Strawinsky-Projekt vorstellen können.

Als das Trio 2010 um ein abendfüllendes Werk gebeten wurden, besannen sich Die Mitglieder von „The Bad Plus“ auf ein frühes Werk Strawinskys, das sie ein Jahr zuvor für ihre Album „For all I care“ aufgenommen hatten: „Variation d´Apollon“. Beflügelt vom Erfolg dieses Experiments setzte das Ensemble das äußerst anspruchsvolle „Sacre du Printemps“ für Piano, Bass und Schlagzeug um. Das Ergebnis ist auf „The rite of Spring“ zuhören.

Reid Anderson: „Unsere Beschäftigung mit Strawinsky hat sich in mehrfacher Hinsicht ausgezahlt. Vor allem lernten wir ein großes klassisches Werk des 20. Jahrhunderts sehr genau kennen.“

Dave King: „`Sacre du Printemps` ist komplex, schwierig und radikal. Damals bei der Uraufführung im Jahr 1913 war das Stück vor allem im Rhythmischen für ein Orchester zu schwer.“

Reid Anderson: „Es ist bekannt, dass wir gerne andere Musik auf unsere Weise interpretieren, darunter auch klassische Werk und auch schon mal einen Teil eines Strawinsky-Balletts. Ein so großes, komplexes und bedeutendes Werk wie ´ The Rite of Spring` war natürlich eine große Herausforderung, aber auch eine Musik, mit der wir uns sehr verbunden fühlten, wegen ihres Einflusses auf die Musik des 20. Jahrhunderts.“

Ethan Iverson: „Wir mögen eine Herausforderung, an der wir als Musiker wachsen. Wir haben bei Strawinsky viele Elemente wiedererkannt, die wir auch in unserer Musik verwenden. Als uns dies klar wurde, fühlten wir uns gleich viel vertrauter.“

Frage: „Was bleibt von dem Aufbau, der Harmonik und dem rhythmischen Einfallsreichtum des Originals?“

Dave King: „Eine konkrete Herausforderung war es, das Drumset in diese Bearbeitung der Musik einzubringen und alle verschiedenen Rhythmen zu lernen, weil wir sehr nahe an der Strawinsky-Komposition bleiben wollten. Dabei haben wir versucht, die Strategien und Techniken aus unserer langjährigen Zusammenarbeit einzubringen und die Musik gleichzeitig sensibel persönlich zu färben.“

Die frenetischen Tempi, des prägnante Schlagwerk und die schroffen Repetitionen passen in der Tat zu dem typische originären Sound des Trios.

Ethan Iverson: „Wir spielen das ganze Stück und nehmen nicht wie andere Jazzmusiker Teile heraus, um darüber zu improvisieren.“

Frage: „Bleibt also kein Platz für Improvisation?“

Dave King: „Nein es gibt keine Improvisation im eigentlichen Sinn. Klar, dass gerade der Schlagzeugpart immer ein wenig variiert, wenn man ihn Abend für Abend live spielt, aber im Wesentlichen versucht jeder, das zu spielen, was er sich bei der Umsetzung erarbeitet hat.“

Ethan Iverson: „Jeder hat sich dem Werk individuell genähert.“

Reid Anderson: „Es war jedenfalls kein linearer Prozess, wo jeder vor sich hin gewerkelt hat. Es ging immer darum, genau auf das Original zu hören und zu entscheiden, wie man die Stimmen auf Bass, Piano und Schlagzeug verteilt. Immerhin fehlten uns bei der Umsetzung etwa 80 Instrumente.“

Der erste Satz – arrangiert vom Bassisten Reid Anderson – ist mit elektronischen Klängen unterlegt, die Strawinskys revolutionäre Orchestrierung beschwören. So gewinnt das akustische Fundament an Tiefe.

Auf die unterschiedliche Herangehensweise bei der Bewältigung des komplexen Strawinsky-Werkes weist auch der Chefdirigent der hr-Bigband, Jim McNeely, hin. Er hat mit dem Orchester im vergangenen Herbst „Le sacre du Printemps“ in einer eigenen Bearbeitung mit dem Saxophonisten Chris Potter vorgestellt.

Frage: „Die hr-Bigband sammelt bereits gute Erfahrungen mit dem Trio „The Bad Plus“. Können sie sich vorstellen, beide Bands für ein gemeinsames Strawinsky-Projekt zusammen zu spannen?“

Jim McNeely: „Hmmm. Eine interessante Frage. Aber ich glaube, dass es einen grundlegenden Unterschied darin gibt, wie beide Gruppen, das Wagnis „Le Sacre“ umgesetzt haben. “The Bad Plus“ bewegen sich sehr nahe an der an der Original-Komposition – auch wenn sie Passagen oder Teile für Bass und Schlagzeug schufen sowie einige Improvisationen hinzufügten. Ich weiß, dass Ethan Strawinskys Arrangement für zwei Pianos als Quelle nutzte. In meiner Bearbeitung „Rituals“ übernahm ich zwar die meisten harmonischen und rhythmische Elemente von „Le Sacre“, aber ich schrieb neues melodisches Material und natürlich den Solo-Part für (den Saxophonisten) Chris Potter, bei dem er über weite Teile der Komposition improvisierte. Er spielte schließlich die Tänzerin „The chosen one“. So näherten wir uns auf zwei unterschiedliche Weisen dem Strawinsky-Werk. Das bedeutet dennoch, ich wäre glücklich, mit `The Bad Plus` zusammen zu arbeiten – sei es über Strawinsky oder bei einem anderen Projekt.“

Deutlicher lehnen die Musiker von „The Bad Plus“ die Frage nach einem gemeinsamen Strawinsky-Projekt ab. Auf die entsprechende Frage erklärten nach dem Konzert In Rüsselsheim, das Iverson, Anderson und King sehr genossen haben, dass die mit „Rite of Spring“ glücklich sind.

Dave King: „Wir haben unsere ganze Energie in dieses Projekt gesteckt. Das reicht.“

Ethan Iverson: „Definitiv `nein`. Wir sind erschöpft.“

Doch zurück zu Jim McNeely und seiner Einschätzung Strawinskys.

Frage: „Was bedeutet Strawinsky für die hr-Bigband. Schließlich ist „Le sacre du Printemps“ Ihrer Ansicht nach „not really a jazz piece“. Wie arbeiteten Sie mit diesem Werk – vor allem, wenn Sie Chris Potter als Solisten einsetzten?“

Jim McNeely: „´Le Sacre` ist keine Jazz-Komposition. Das Werk enthält aber Samenkörner für zahlreiche Musikrichtungen, die sich später im 20. Jahrhundert entwickelten – den Jazz eingeschlossen. Indem er Percussion sowie Streicher und Bläser einsetzte, schuf Strawinsky ein unglaubliches Werk; eine Kraftquelle, die in gleicher Weise wie Rhythm-Sections im Jazz, Rock Rhythm & Blues, Funk,Heavy, Metal und andere Musiken funktionierte. Auf ihre Weise wurde die harmonische Ausdrucksweise von „Le Sacre“ zu einer „Lingua Franca“ von zahlreichen Jazz-Komponisten und Arrangeuren der Nachkriegszeit. Mit „Le Sacre“ hat Strawinsky Musik-Genres beeinflusst, die zu der Zeit, als das Werk geschrieben wurde, noch gar nicht existierten. Deshalb ist es wahrscheinlich das Schlüsselstück der Musik des 20. Jahrhunderts.“

Frage: „Was mussten Sie bei Ihrer Bearbeitung berücksichtigen?“

Jim McNeely: „`Le Sacre` wurde als eine Ballett-Komposition geschrieben. Wenn wir sie als ein „concert piece“ hören, dann werden uns die innewohnende Energie und der visuelle Aspekt der Tänzer entgehen. Wie ich bereits sagte, ich betrachte Chris Potters Rolle als die einer Tänzerin – in diesem speziellen Fall als „The chosen one“, die sich selbst zu Tode tanzt. Chris war sehr vertraut mit „Le Sacre“ und brachte sich sehr gut in das Stück ein. Der größte Teil seines Parts ist zwar improvisiert, aber von Zeit zu Zeit gab ich ihm wie ein Regisseur die Richtung vor, so dass er um die Rolle wusste, die er zu spielen hatte. Ich verkleinerte außerdem die Form des Originals, denn ich brauchte Zeit, um den Epilog „Rebirth“ einzufügen. „The chosen one“ sollte zum Leben wieder erweckt werden. So ist mein Stück etwas optimistischer als Strawinskys Original.“

Frage: „Wie sehen Sie vorausschauend eine Zusammenarbeit mit „The Bad Plus“ – möglicherweise bei neuen Projekten?“

Jim McNeely: „`The Bad Plus` ist ein wahrhaft kooperatives Trio. Jedes Mitglied nimmt seine einzigartige Rolle in der Formation an und verfügt über einen besonderen kompositorischen Ausdruck. Vor zwei Jahren habe ich es richtig genossen, Musik, die von den Dreien geschrieben wurde, zu arrangieren. Ich freute mich außerdem über die Herausforderung, sie mit einer Bigband zusammen zu spannen. Nicht mit irgendeinem Orchester, sondern mit der hr-Bigband. Dieses Mal bin ich gespannt auf eine Wiederbegegnung mit ihrer Musik und will sie in Arrangements betten, die tiefer gehen als vor zwei Jahren.“

 

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