Sebastian Gramss mit „Thinking of Scodanibbio“ bei Enjoy Jazz 2014 (mit Fotos)

[Ein Beitrag aus dem Archiv der Jazzpages, im Original am 7. Oktober 2014 erschienen]

Sebastian Gramss kennt man als kreativen Bass-Kopf, der den Möglichkeiten seines Instruments im Detail nachspürt, es im wahrsten Sinne des Wortes abklopft und der gelegentlich sogar mit einer endoskopischen Kamera in seinen Kontrabass hineinkriecht.

Das Projekt „Thinking of…“ ist eine Hommage an den italienischen Bassisten Stefano Scodanibbio, der 2012 mit 55 Jahren jung verstorben ist. Ein Bassist und Komponist, der die Rolle des Kontrabasses – weniger im Jazz, sondern eher in der modernen Klassik – neu definierte und aus dem gelegentlichen Schattendasein in Ensembles befreite.

Ein Vorbild und eine Inspiration für Sebastian Gramss, das ist auf vielen seiner Einspielungen zu hören und in seiner reinsten Form auf seiner brillianten, im vergangenen Jahr erschienen Solo-CD „Atopie“. Darauf bewies er sich bei aller wohldosierter Virtuosität vor allem als ideenreicher und unermüdlicher Klangforscher, der von fiebrigen Sequenzen bis zu kontemplativ-introvertierten Miniaturen die Möglichkeiten seines Instruments auslotet.

Zum Enjoy Jazz Konzert in der Alten Feuerwache Mannheim hat Gramss eine große Besetzung mitgebracht: 12 Bass-Kollegen, bekannte Namen darunter, wie Dieter Manderscheid, Dietmar Fuhr, André Nendza, Christian Ramond, Achim Tang und Volker Heinze und junge Bassisten, vor allem aus der Kölner Szene mit Reza Askari, Stefan Berger, David Helm, Stefan Schönegg, Jacob Kühnemann und Florian Herzog.

Das „Thinking of…“ wurde zu Beginn des Konzertes leicht abgewandelt, zu Ehren des im Juli verstorbenen Bassisten Charlie Haden formierte sich ein Bassquartett vor dem eigentlich vorgesehenen Programm. Dietmar Fuhr, Sebastian Gramss, Achim Tang und Christian Ramond spielten eine bewegte und bewegende Hommage an den großen Bassisten.

Sebastian Gramss hat sich für das Scodanibbio-Projekt mit vielen Bassisten national und international vernetzt um in dessen Geist Musik zu spielen. Das sind in vielen Fällen Zwiegespräche im Duo, mit Bassisten wie Philipp Barre, Tetsu Saito und Mark Dresser aber eben auch Großformationen bis hin zur schon allein organisatorischen Meisterleistung dieses Jahr in Moers, wo er an Pfingsten fast 50 Bassisten auf die Bühne des Festivals brachte.

In Mannheim, auf der Bühne der Alten Feuerwache, hat er 11 seiner Mitspieler in einem flachen Halbkreis vor sich aufgebaut, nur Dieter Manderscheid steht als Solobassist frontal zum Publikum, gemeinsam mit Sebastian Gramss, wenn der selbst zum Instrument greift.

Häufiger ist Gramss allerdings an diesem Abend als Leiter des Ensembles und als Dirigent zu sehen. Den tieftönenden Klangkörper nutzt er nicht weniger einfallsreich als im Solospiel. Seine Gesten haben mit traditionellem Dirigieren wenig zu tun – er lenkt eher das Geschehen mit großem Freiraum, fährt mit ausgestreckten Händen von links nach rechts und zurück, lässt damit mal die eine, mal die andere Seite von der Leine, bändigt die Dynamik oder lässt ihr freien Lauf, verlangsamt das Spiel oder gibt ihm eine dynamische Beschleunigung. Er türmt die Hände über den Kopf und lenkt das Ensemble in höchste Basshöhen oder wirft einer ausgewählten Gruppe mit federner Geste einen imaginären Ball zu, worauf diese ein wohldosiertes homogenes Zupfen ins musikalische Spiel zurück gibt. Oder er schüttelt dem Tutti dynamisch die Hände entgegen und das antwortet mit ruppigen Basschlägen.

Der wildbewegten Bassmasse entgegen stellen sich die virtuosen Solopassagen von Dieter Manderscheid oder Duo Passagen mit Sebastian Gramss an seinem dunklen „Kowald-Bass“ – Atempausen für das Großensemble, das sich aber alsbald wieder ins Spiel schleicht.

So großartig die 13 Bassisten die Möglichkeiten ihrer Instrumente nutzen, weit über Zupfen und Streichen hinaus mit Klappereffekten, spuckebefeuchtetem Herumreiben auf den Instrumenten, unorthodoxem Einsatz der Bögen – es sind nie Effekte um des Effekte Willen, vielmehr wirkt das in jedem Moment stringent und folgerichtig – ein virtuoses Spiel mit Klang, Rhythmus und Melodie, das zurecht vom Publikum frenetisch gefeiert wurde.

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