Saxofonist Donny McCaslin mit Quartett in Rüsselsheim, 22. Mai 2018

Es gibt Begegnungen, die das Leben verändern. Bei McCaslin war es, als das Pop-Chamäleon Bowie ihn bat, in seiner Begleitung das Saxofon zu blasen. Heraus kam das Album „Black Star“. Es erschien nur zwei Tage nach Bowies Krebs-Tod. „Lange noch schwamm der Klang von ‚Blackstar’ in meinem Kopf herum“, sagt der 51-jährige Saxofonist. So ist es nicht verwunderlich, dass in dem Konzert der Rüsselsheimer Jazzfabrik Stücke des Briten neben bekannten McCaslin-Kompositionen wie „Blue Note Tokyo“ von 2017 erklingen. „Die meisten der expressiven und teils ekstatischen Stücke dieses Abends sind jedoch brandneu und wurden für eine CD geschrieben, die im September dieses Jahre erscheinen soll“, verrät Donny McCaslin.

Donny McCaslin, am 11. August 1966 in Kalifornien geboren, gehört zu denen, die eigentlich gar nicht anders konnten, als Musiker zu werden. Sein Vater arbeitete als bekannter Jazz-Vibraphonist und ließ den Sohn bereits in jungen Jahren mitspielen.

Aber seit seinem 2010 erschienenen Album „Perpetual Motion“ toben sich McCaslin und seine Musiker an der Schnittstelle zwischen Jazz und elektronischer Musik aus. Großgeworden mit Jazz, Latin und Funk ist der Tenorist ein Spätzünder, was Elektronik angeht – und entdeckt das für ihn noch neue Genre vorurteilsfrei. „Elektronische Musik zieht mich an, weil sie wunderbare Klanglandschaften ermöglicht“, sagt er. „Außerdem mag ich intensive rhythmische Aktivität.“ In der Rüsselsheimer Jazzfabrik kostet Pianist Lindner zudem die Computersounds mit all ihren Möglichkeiten aus. Geräuschcollagen fabrizierend, pendelt er zwischen Keyboard samt Aufsatz, dem hell klingenden Synthesizer „Prophet 08“ und dem Flügel – den er auch auf den Saiten im Innern spielt.

Mit reichlich Hall lässt Donny McCaslin sein Tenorsaxofon expressiv und intensiv „singen“. Das Konzert seines Quartetts erklingt vom ersten bis zum letzten Ton energetisch. Selbst die wenigen ruhigen und getragenen Passagen, die Soli des Künstlers und die Duos mit dem vertrauten Pianisten und Keyboarder Jason Lindner stecken in dem Rüsselsheimer Konzert voller Energie. Vor allem dem Schlagzeuger Zach Danziger und seinen stetigen polyrhythmischen Drum-Gewittern ist es zuzuschreiben, dass die Sound-Orgie dieses Konzertes in der Jazz-Fabrik in nahezu zwei Stunden kaum zur Ruhe kam.

McCaslin verbeugt sich zur Expression der Musik, windet seinen schlaksigen Körper und wendet sich in den Dialogen dem jeweiligen Partner zu – mal dem Drummer, mal dem Pianisten. Hin und wieder, wie im melancholischen „Back to the world“, sind sogar zum teils perlenden, teils sperrigen Tastenspiel Lindners die Atemgeräusche in dem Tenorsaxofon zu vernehmen. Geerdet wird der Sound auch durch das expressive und offensichtlich bewusst übersteuerte Bassspiel von Jonathan Maron, der beim Rüsselsheimer Konzert Tim Lefebvre vertritt.

McCaslins ausdrucksstarke Improvisationen schweben auf „Beyond Now“, einer Hommage für den verehrten David Bowie, sogar in abrupten Saxophon-Stakkati über den Sound-Experimenten des Pianisten, duellieren sich mit dem Drumming Danzigers. „Als Saxofonist habe ich keine Texte, die ich singen kann (McCaslin lässt seine Stimme nur einmal kurz in der Zugabe bei einem Song Bowies hören), also muss ich versuchen, über meine Improvisation Gefühle auszudrücken“.

„Sie sind ein wunderbares Publikum“, liest der Saxofonist Donny McCaslin in gebrochenem Deutsch von einem zerknitterten Zettel ab, den er aus der Hose zieht. Er verspricht dem begeisterten Publikum, bis zum nächsten Mal die Sprache zu verbessern. Der Künstler ist an diesem Abend bescheiden und lacht charmant.

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