Retrospektive Tendenzen nicht nur im Jazz

51. Hauptarbeitstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung

Darmstadt. – Darmstadt besitzt einen klingenden Namen in der zeitgenössischen Musik. Nach dem Krieg heckten dort bei den Ferienkursen im Jagdschloß Kranichstein die Komponisten Olivier Messiaen, Karlheinz Stockhausen & Co. die Serielle Musik aus, das Jazz-Institut unter Leitung von Dr. Wolfram Knauer genießt mittlerweile weltweite Reputation – und dann findet noch jeweils im Frühjahr die Hauptarbeitstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung statt. Dort ist der Jazz längst integriert, und die Vorträge des Vorstandsmitglieds Prof. Ekkehard Jost fördern stets so profunde wie kritische Analysen zu Tage.

Mit „Alternativen“ beschäftigte sich der Kongreß in diesem Jahr, und Ekkehard Jost sprach über das Thema „Was macht der Jazz? Symptome und Tendenzen am Ende des ersten Jahrhunderts“. Inzwischen sei im Jazz der noch vor sieben Jahren konstatierte „gigantische publizistische Boom“ einer Baisse gewichen, führte Jost aus. Die großen Plattenkonzerne hätten kein Interesse am aktuellen Jazz, kommerziell ertragreich seinen nur „negrophile Reissues“, also CDs von analogen Vinylscheiben. Allenthalben beklagte Jost den „Neo-Konservatismus“ der Jung-Jazzer: „die Rolle rückwärts hat zu einem salto mortale geführt!“.

Für die europäischen Newcomer sei die Marktsituation schwieriger geworden, in geringen Auflagen produzierte CDs ließen sich meist nur mittels Postversand vertreiben, das Clubwesen in Deutschland liege sehr darnieder. Renommierte amerikanische Musiker böten sich jetzt zu Billigpreisen an. Gründe hierfür seien der niedrige Dollarkurs, fallende Flugpreise und die desolaten Einkommensverhältnisse in den USA. Schließlich empfinden die Künstler, daß der Jazz auf dem Alten Kontinent mehr Wertschätzung erfährt als in seinem Geburtsland.

Einige Besonderheiten im allgemeinen Stilpluralismus konnte Jost ausmachen: da findet (beispielsweise mit der Bearbeitung von Schlagern der 20er Jahre) ein „Recycling der europäischen Musik“ statt, große Orchesterapparate haben Konjunktur – aber der kreative „Free“ Jazz, wie der des Pianisten Cecil Taylor, lebe – aller Unkenrufe zum Trotz – immer noch. In den 90er Jahren habe sich kein identifizierbarer Jazzstil entwickelt, resümierte der in Gießen lehrende Musikprofessor. Auch in der Neuen Musik herrsche derzeit ein Stilkonglomerat. Da bliebe, so Jost, nur die Forderung nach einem persönlichen Ausdruck, begründet auf einer individuellen Erfahrung.

Auf der Positivliste führte Ekkehard Jost innerhalb eines Seminars die Arbeit des französischen Klarinettisten Louis Sclavis und das von dem Trompeter Pino Minafra gegründete Italian Instabile Jazz Orchestra auf. Daß Jost nicht nur als Theoretiker agiert, sondern ganz praktisch Spaß am Jazzen hat, bewies er in einem Duo-Konzert mit Günter „Baby“ Sommer – Jost an großvolumigen Saxophonen, Sommer am reichhaltigen Schlagwerk.

Im Eröffnungskonzert der eine knappe Woche dauernden 51. Hauptarbeitstagung unterstrich der Virtuose Michael Riessler – vornehmlich auf der Baßklarinette – sein Grenzgängertum zwischen Jazz und Zeitgenössischer Musik. Auch er erläuterte in einem eigenen Kurs den interessierten Teilnehmern seine kompositorischen, interpretatorischen und improvisierenden Vorgehensweisen.  

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