Fotografie und Interview: Klaus Mümpfer
Der Komponist ist Partner des Films
Renaud Garcia-Fons im Gespräch mit Klaus Mümpfer
Der romanische Kreuzgang des Wormser Andreasstiftes bietet in der lauen Sommernacht das passende Ambiente für den multimedialen Genuss der „Abenteuer des Prinzen Ahmed“ Über eine Leinwand flimmern die artifiziellen Scherenschnittszenen des Märchens aus 1001 Nacht, die Geschichte von Aladin mit der Wunderlame, einem Prinzen, Kalifen, einer wunderschönen Fee, einem bösen Zauberer und einer guten Hexe, dem luftigen Ritt auf dem Zauberpferd nach China und einer Dämoneninsel. Auf der Bühne erzählen die Laute von der Liebe, die Flöte von Hoffnung und Verzweiflung, da unterstreichen Kontrabass, Percussion und Marimba mit dramatischen Tutti Schlachten und Entführung. Der französische Kontrabassist und Komponist Renaud Garcia-Fons hat eigens für dieses Projekt eine von Flamenco und orientalischer Melodik inspirierte Musik geschrieben. Nun präsentiert er gemeinsam mit Musikerkollegen die Vertonung jenes Filmklassikers aus den Jahren 1926 bis 1929, mit dem Lotte Reiniger im Genre des Silhouettenfilms Pionierarbeit leistete. Die Musiker spielen teilweise exotische Instrumente, zaubern fernöstliche wie abendländisch-kammermusikalische Klangfarben. Im Hintergrund der kleinen Bühne streicht, schlägt und zupft Renaud Garcia-Fons als Herz des ungewöhnlichen Klangkörpers den Kontrabass.
Im Interview (ursprünglich für das Jazzpodium geführt) über dieses Projekt spricht Renaud Garcia-Fons von einer Verschmelzung von „occidental“ und „oriental music“ – abendländischer und fernöstlicher Musik.
Frage: Kannst Du Deine erste Begegnung mit Lotte Reinigers Silhouetten-Film „Die Abenteuer des Prinzen Ahmed“ schildern?
Garcia-Fons: Entdeckt habe ich diesen Film bei einem Kurt Weill-Festival in Dessau, wo ich dann auch den Auftrag für die Komposition erhielt. Als ich den Film zum ersten Mal sah, fühlte ich mich in eine Traumwelt voller Geheimnisse, Abenteuer und Leidenschaften versetzt. Ich verspürte eine Faszination und Gefühlsweite, wie ich sie seit meiner Kindheit nicht mehr erfahren hatte. Der Animationsfilm von Lotte Reiniger berührte mich tief. Ich empfand ihn als ein universelles Epos, das Ästhetik, Poesie und äußerste Schönheit verbindet und die Magie der Sagen des Orients herbeizaubert. Auf der einen Seite fasziniert mich das kunstvolle Design, auf der anderen Seite der Reiz der beiden Geschichten, die Abenteuer, Liebe und den symbolischen Kampf von Gut und Böse auf so poetische Weise erzählen. Das hat mich unwahrscheinlich motiviert. Die Musik für ein filmisches Kunstwerk aus Deutschland zu schreiben, war für mich ein Wagnis und Herausforderung von besonderer Art.
Frage: Was bedeutet dies für die Umsetzung des Werkes.
Garcia-Fons: Um die zeitlose Aktualität dieses Werkes zu unterstreichen, musste die Komposition nach meinem Gefühl durch den begrenzten Einsatz der Instrumentierung auf die ursprünglichen Klänge und Stimmungen der Vorlage zurückgreifen. In diesem Fall sind es sechs Musiker, die fast alle auch Erfahrung in der klassischen Musik besitzen – Claire Antonini an der Laute etwa mit der Barockmusik. Seit meinem 16. Lebensjahr nehme ich die unterschiedlichsten Musiken in mich auf. Ich liebe die traditionelle französische Musik wie Debussy und Ravel – auch um mich anderen Musikkulturen zu nähern. Und ich liebe ebenso orientalische Musik – auch wenn ich noch nicht in Indien oder China – höchstens mal in Japan – vor allem aber in Afrika und Israel gespielt habe. Aber Du musst nicht dort gewesen sein, um die Musik zu begreifen und zu verarbeiten.
Frage: Ich glaube, es gibt wie in der Psychologie Archetypen auch in der Musik, die in allen Musikkulturen vorhanden sind.
Garcia-Fons: Das mag sein.
Frage: Wie gestaltete sich die Kompositionsarbeit für „die Abenteuer des Prinzen Ahmad“ in der Praxis?
Garcia-Fons: Um das Werk in der heutigen Zeit zu vertonen und seine Bedeutung auf dem Weg zur Verschmelzung in einer plurikulturellen Musik zu betonen, müssen gleichermaßen Instrumente der orientalischen Tradition wie die Laute und die iranische Laute, die iranische Percussion, Tablas und indische Flöte sowie die Instrumente der occidentalen Welt, wie die Tastatur von Marimba und Akkordeon, den Kontrabass mit all seinen unterschiedlichen Stimmungen und Klangfarben, den Octobass und die Bassflöte eingesetzt werden.
Frage: Du versuchst, traditionelle Kompositionstechniken und abendländisches Instrumentarium mit orientalischen Sounds, Klangfarben und Instrumenten zu verbinden?
Garcia-Fons: Ja!. Wenn ich von abendländischer Musik spreche, dann meine ich sinfonische Musik. Notierte Musik mit den Möglichkeiten der Orchestrierung. Aber ich habe neben den Klangfarben und der Instrumentierung auch die Phrasierung von „oriental music“ einbezogen. Nicht allein die Sounds, sondern auch Skalen, Modulation und verzierende Ornamente.
Frage: Die Story selbst wird in dem Film nur in kurzen Sätzen niedergeschrieben. Das bedeutet, dass Du mit Deiner Musik ergänzend eingreifen musst.
Garcia-Fons: In der Tat verstehe ich meine Rolle als Komponist der Filmmusik in der Partnerschaft und dem Dienen. Mein Ziel ist es, durch den musikalischen Ausdruck die Geschehnisse und Gefühle zu beschreiben und zu unterstreichen.
Frage: Wir kennen den Begriff „Folklore imaginaire“ für Strömungen im französischen Jazz. Würdest Du sagen, dass die „folklore imaginaire“ Deine Kompositionen beeinflusst, insbesondere diejenige über die „Abenteuer des Prinzen Ahmed“?.
Garcia-Fons: in Frankreichs Jazz gibt es Einflüsse aus den verschiedensten Arten von Musik. Natürlich vor allem für notierte Musik. Und diese Komposition ist vollständig notiert.
Frage: Das heißt, es gibt keine Improvisationen.
Garcia-Fons: Richtig. Keinerlei Improvisationen. Ausgenommen vielleicht in meiner Prelude.
Frage: Auch nicht in den Soli. Etwa auf dem Kontrabass?
Garcia-Fons: Nein nicht einmal in den Soli. Die Musik wurde nur geschrieben, um den Film von Lotte Reiniger zu unterstützen, also eine künstlerische Produktion zu illustrieren. Ich habe eine Menge Respekt vor dieser filmischen Leistung. Es bereitete mir deshalb ausgesprochenes Vergnügen, diese Musik zu schreiben, gerade weil dieser Film ist so poetisch, exotisch und voller Fantasie ist. Da ist es konsequent, dass ich Elemente der klassischen Musik sowie aus fernöstlicher Musik aufgenommen habe und versuche, beides zu verschmelzen. Die Arbeit erinnert an meine Auffassung von „chanson de geste“. Damit meine ich eine Musik im Mittelalter, bei der auf die Zählweise geachtet werden muss. Es sind die Lieder des Rittertums, der Gesang von Troubadouren. Epen werden in Melodie, „Gesang“ und Lyrik gefasst. Weil aber meine Musik rein instrumental ist, muss sie wie bei jedem Epos Dramatik, Kampf und Action-Szenen, aber auch Liebe, Verzweiflung und Hoffnung durch percussive und orchestrale Arbeit unterstützen.
Frage: Die Filmmusik ist also von Anfang an als instrumentale Komposition gedacht und angelegt worden?
Garcia-Fons: Natürlich! Zwar mit unterschiedlichen Einflüssen, die mir die Chance boten, meine Inspirationen von Frankreich und Spanien weit nach Osten bis China auszuweiten, wohin die Geschichte führt. So kann ich musikalische Brücken zwischen Ost und West bauen. Aber immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dem Film zu dienen. Ich bin überzeugt, dass dieses Projekt eine kulturelle Dimension erreichen wird.
Frage: Um auf die anfängliche Frage zurückzukommen: Könnte es sein, dass Du – bewusst oder unbewusst – die typische französische „folklore imaginaire“ integriert hast?
Garcia-Fons: „Folklore imaginaire“ ist ein weit gefasster Begriff. Wenn Du beispielsweise melodische Musik schreibst mit folkloristischen Elementen – etwa türkische – dann können wir bereits von „folklore imaginaire“ sprechen.
Frage: Wie lange hast Du an der Vertonung des Films gearbeitet.
Garcia-Fons: Die Idee geht auf die Jahre 2008/2009 zurück. Die eigentliche Schreibarbeit dauerte etwas länger als zwei Monate. Ich hatte die Musik allerdings bereits im Kopf, bevor ich mit dem Niederschreiben anfing.
Frage: Wie würdest Du Deinen Personalstil im Spielen und in der Komposition definieren.
Garcia-Fons: Es gibt Aspekte, die für mich sehr wichtig sind. Aber dies ist schwierig zu erklären. Ich liebe es, zu komponieren samt der Orchestrierung, um mich so zu entwickeln.
Frage: Und Deine Art Bass zu spielen.
Garcia-Fons: Die ist noch schwieriger. Ich glaube, das kannst Du besser analysieren als ich.
Frage: Du arbeitest mit verschiedenen eigenen Gruppen. Hast Du die Musiker für dieses Projekt eigens ausgesucht und zusammengestellt?
Garcia-Fons: Ja. Absolut.
Frage: Nebenbei gefragt. Was beschäftigt Dich mehr: akustische oder elektrische Musik?
Garcia-Fons: Mich fasziniert der natürliche Klang der Instrumente. Er ist so reich an Klangfarben und Ausdruck. So perfekt und so menschlich. Elektrifizierte oder elektronische Musik ist für mich ebenfalls interessant als eine Form des Ausdrucks. Ich kann damit arbeiten.
Der Erfinder und ehemalige künstlerische Leiter des Traumzeit-Festivals, Wilfried Schaus-Sahm, erinnert daran, dass die Auftragskomposition für Garcia-Fons für das Kurt Weill-Festival in Dessau auf seiner Idee beruhte und auf seine Anregung hin erfolgte.
Renaud Garcia-Fons / Lotte Reiniger
„Die Abenteuer des Prinzen Ahmed“
Die Musiker:
Renaud Garcia-Fons: 5 String Bass
Claire Antonini: Laute, Theorbe, Tar
Henri Tournier: Bansuri Flöte, Bass-Flöte und Oktober
David Venitucci: Akkordeon
Franck Tortiller: Marimba, Percussion
Bruno Caillat: Zarb, Tablas und andere Percussion
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