Text und Photos: Hans Kumpf
Glitzernder Diskant und pralle Akkorde
Vorweihnachtliche Rührseligkeiten, aber auch recht Zupackendes bot Martin Tingvall in der Hospitalkirche. Eingeladen wurde der Klavierkünstler vom Konzertkreis Triangel, wobei der Jazzclub und das städtische Kulturbüro als kompetente Kooperationspartner fungierten.
Schwäbisch Hall. „Auf dem Klavier kann man alle Register spielen – von minimalistisch bis gewaltig. Ich glaube, dass in der Melodie der Schlüssel zum Erfolg eines Stückes ist.“ So lauten zwei Statements des Pianisten und Komponisten Martin Tingvall. Der gebürtige Schwede gastierte mit seinem spektakulären Trio bereits im April 2011 und im Mai 2013 in Schwäbisch Hall, jetzt kam der Mann der 88 Tasten erneut in die Hospitalkirche – aber solo.
Martin Tingvall also nun ohne den (kubanischen) Bassisten Omar Rodriguez Calvo und den Schlagzeuger Jürgen Spiegel. Da nützte er die individuelle Freiheit, sich nicht auf ein festes Metrum fixieren zu müssen und stattdessen Temposchwankungen zum Normalfall werden zu lassen. Der 40-Jährige präsentierte an dem Abend vorwiegend Titel seiner jüngsten Solo-CD: „En ny dag“ („Ein neuer Tag“). Anderseits probierte er wieder in aller Öffentlichkeit neue Stücke aus, bevor diese eventuell in leidlich steriler Studioatmosphäre auf Tonträger eingespielt werden. Die unmittelbare Publikumsresonanz ist dem in Hamburg wohnhaften Skandinavier mit deutschem Pass also sehr wichtig. 150 Zuhörer, drei freundlichst erklatschte Zugaben und schlussendlich viele CD-Verkäufe samt Autogrammwünsche sprachen dann für sich.
Stimmungsmäßig, dynamisch und stilistisch bewerkstelligte Martin Tingvall dann doch eine enorme Spannbreite. Immer wieder schimmerte das phrygische Tongeschlecht durch, auch arabische Skalen wurden bemüht.
Bei „Debbie an the Dogs“ vernimmt man karibische Calypso-Rhythmen, sein „En stärna faller“ („Ein Stern fällt“) erinnert an die „Morgenstimmung“ des Norwegers Edvard Grieg. „Kvällens sista dans“ („Der letzte Abendtanz“) orientiert sich ohrengefällig am Wiener Walzer. Das nach einem Auftritt in Simbabwe entstandene „Utan ström i Harare“ („Ohne Strom in Harare“) zitiert choralhaft südafrikanische Kwela-Musik.
Gerne spielt Martin Tingvall glitzernd im Diskant – dabei entsteht eine liebkindliche Spieluhrenatmospäre. Ein weiteres Markenzeichen von ihm sind ostinate Figuren der linken Hand – quasi ein „perpetuum mobile“. Darauf und darüber lässt sich dann vorzüglich improvisieren, und bluesige Phrasen betonen hier die Jazz-Grundlage.
Mannigfache musikalische Träumereien am Steinway-Flügel betten sich mittels rechten Pedals in lauschigem Weichklang. Robert Schumanns Kinderszenen-Hit fand sich gar im nordischen „Midsommar“ wieder. Romantisches Rauschen und lyrische Impressionismen. Doch alsbald vermögen bei Martin Tingvall pralle Akkorde lautstark eine einschläfernde Rührseligkeit verhindern. Und dies nicht nur zur Weihnachtszeit.