Fotos und Text: Klaus Mümpfer
In der Tiefe seiner Seele ist der Saxofonist Hayden Chisholm ein Romantiker. Seine cantablen Läufe in weit schwingenden Bögen nähern sich dem Wohlklang, glücklicherweise ohne ins Kitschige anzugleiten. Beim Konzert des Quartetts „Root 70“ findet er in Bandleader Nils Wogram einen sensiblen Partner an der Posaune, mit dem er in der Begleitfunktion des Rhythmusduos sanft und ostinat Melodiefragmente variiert. Soundprägend vor allem bei flächigen Klangfarbenspiele sind die Ruf-Antwort-Duette von Posaune und Altsaxofon sowie die zweistimmigen Duos der Bläser.
„Root 70“ interpretiert „How play Blues“ oder den „Rusty Bagpipe Boogie“ auf ihre eigene Art, bei der lediglich die Strukturen von Blues und Boogie erhalten bleiben und das Gerippe mit eigenen Ideen und Ausschmückungen aufgefüllt wird. Insofern könne der Bandname auch als eine Rückkehr zu den Wurzeln gesehen werden. Der Blues ist eben mehr als nur der kleinste gemeinsame Nenner. So pendelt „Root 70“ zwischen Swing und Bebop mit Free-Anklängen sowie Folk-Exotik, wobei manche Saxophon-Soli stärker konzentriert werden könnten.
Beim Konzert der Jazzfabrik im Rüsselsheimer Kulturzentrum „Rind“ verfolgt das Publikum fasziniert die traumhaft sicheren Interaktionen sowie virtuosen Soli der Musiker. Hinter dem vordergründig gefälligen Gruppenklang verbirgt sich eine raffinierte Harmonik und vertrackte Rhythmik. Bassist Matt Penman zupft den Kontrabass etwa bei „Time flies“ in langen, harmonisch reizvollen und verzierten Linien, schlägt das Instrument einmal gar mit angedeuteter Slapping–Technik percussiv oder schiebt mal eine Double-Time-Passage ein. Bei den metrischen Eskapaden des Rhythmus-Duos ist der Schlagzeuger Jochen Rückert mit komplizierten Metren vielschichtig taktgebend.
In „Listen to your woman“, dem Titelstück ihrer jüngsten CD, zaubern Chisholm und Wogram hymnische sowie exotische Klangfarben mit Ellington-Touch. Wogram selbst belegt mit mehrstimmigem Spiel auf der Posaune, mit kurzen, gepressten High-Notes und in growlenden tiefen Lagen, dass er zu den besten Posaunisten der jüngeren Generation zählt. Im gleichen Stück lockert er die melodischen Läufe des Altsaxofonisten zunächst mit percussiven Ostinati auf der Posaune, später mit Kommentaren auf der Melodica auf.
Bei „Homeland´s sky“ schlägt die Stunde von Hayden Chisholm, der nach einer schwebenden Mehrstimmigkeit im Sprechgesang einen Text zitiert, der auf ein Poem des Schweizer Schriftsteller Robert Walser Bezug nimmt. Völlig exotisch gerät das Programm mit den Obertongesängen Chisholms im „Hot summer Blues“, bei denen er neuerdings von Wogram vokalartistisch unterstützt wird.
So gelingt dem Quartett auch ohne Piano ein reiches Klangfarbenspiel mit einer komplexen, groovenden Bass-Schlagzeug-Basis hinter und neben der harmonisch reizvollen Mehrstimmigkeit der sensibel aufeinander reagierenden Bläser. Die Musiker genießen das Spiel ebenso wie das Publikum und als Wogram als Gag mehrfach seinen Posaunendämpfer im Takt fallen lässt, kann er vor verhaltenem Lachen kurzfristig nicht blasen.