Im Herzen ein Jazzer – Mani Neumeier zum 75.
Ende der 1960er Jahre hat Mani Neumeier seine musikalische Lebensentscheidung getroffen. Bis dahin gehörte er zur überschaubaren Zahl der arrivierten Free Jazz Schlagzeuger, war Mitglied im Trio von Irene Schweizer und ganz vorne bei der Jazzavantgarde. Er spielte mit Musikern wie Peter Brötzmann, Wolfgang Dauner, Gunter Hampel, John McLaughlin und war sogar kurz Drummer beim Globe Unity Orchestra. Er hätte sich auch im Free Jazz durchgesetzt, als Vollblutmusiker, der bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Die Roots im Jazz, die hatten sich schon früher gebildet als der gebürtige Münchner in die Schweiz ging und dort die größten Jazzmusiker live erlebte: Satchmo, Miles, Monk, Mingus, Coltrane… – „Die Jazz-Roots sind das A und O“, sagt Neumeier.
Und trotzdem, das tauchten da seit Mitte der 1960er Jahre auf einmal Hendrix, Cream und Co. auf, Musikverstärker und Sprungbrett in eine neue musikalische Welt und in ein anderes Lebens- und Musikgefühl, das auch Mani Neumeier auf ganz neue Pfade führte. Rockmusik war es, und „Krautrock“ wurde das Label für die avantgardistische Rockmusik aus Deutschland. Ein Begriff wie „Made in Germany“, einst in England zur Kennzeichnung von minderwertigen Waren aus Deutschland erdacht, der irgendwann zum Qualitätsmerkmal mutierte. So lief es auch mit dem „Krautrock“: Anfangs eher etwas von oben herab betrachtet, belächelt und später wurde daraus eine anerkennende Klassifizierung – und Mani Neumeier am Schlagzeug und auch Mikrophon war mit seiner Band Guru Guru stets vorne dabei.
Damals war Mani Neumeier mit dem Begriff „Krautrock“ gar nicht mal so glücklich, heute hat er sich damit längst versöhnt und freut sich wahrscheinlich gelegentlich klammheimlich mit an der Spitze einer historischen Musikbewegung gewesen zu sein. In Japan haben sie ihn bereits vor Jahrzehnten mit einem jugendlichen Abbild dafür lebensgroß ins Wachsfigurenkabinett gestellt.
Guru Guru wurden 1968 gegründet, in der Urbesetzung mit dem Bassisten Uli Trepte und dem Gitarristen Eddy Nageli, dem recht bald Ax Genrich an der Gitarre folgen sollte. Es war eine wilde Zeit, mit langen Haaren, Hippiefeeling und natürlich auch Drogen: „Drugs helped us to explore music and our minds“ – das Resultat waren weit gespannte Rocksongs mit psychedelisch angehauchten Improvisationen. Eine politische Band mit anarchischem Humor und für einige Bürger in den kleinen Käffern Langenthal und Finkenbach vermutlich perfekte Bürgerschrecks mit ihren kommunardischen Wohngemeinschaften.
Die „klassische“ Besetzung mit Genrich und Trepte hielt drei Alben und einige Jahre, danach war die Band ebenso wandlungsfähig wie ihre Besetzung mit der Konstante – ruhenden Pol kann man ihn schlecht nennen – Mani Neumeier am Schlagzeug. Ein Kommen, ein Gehen ein Wiederkommen, mit Musikern wie Hellmut Hattler, Barbara Lahr, Luigi Archetti, Dieter Moebius, Peter Wolbrandt und Jazzern: Gerd Dudek, Michael Pilz, Erwin Ditzner… Man kann sie nicht alle aufzählen. Einige waren nur kurz dabei, andere über viele Jahre, einige kamen nach vielen Jahren Pausen wieder.Irgendwie eine musikalische Patchworkfamilie, die im Jahr 2016 mit Roland Schaeffer (gt), Hans Reffert (gt), Peter Kühmstedt (b) seit einigen Jahren stabil zusammenspielt. Regelmäßige Plattenveröffentlichungen – tatsächlich kürzlich eine Live Doppel-LP – ausgedehnte Tourneeen und gerade kurz vor Weihnachten die Aufnahme eines Konzertfilms im Heidelberger Karlstorbahnhof – die Band bleibt rastlos und kreativ.
Natürlich war Mani Neumeier auch außerhalb von Guru Guru aktiv. 1977 rief er das legendäre Finkenbach Festival ins Leben: im kleinen Örtchen im Odenwald, organisiert zusammen mit der örtlichen Feuerwehr. Legendäre Konzerte, legendäre Performances, legendäre Probleme inklusive massiver Polizeikontrollen auf der Hatz nach Drogen. Und irgendwann auch das Aus für einige Jahre und dann seit 2008 ein grandioses Comeback und wieder ein Magnet für Fans, die keinen Bock auf Megafestivals haben und die heitere Atmosphäre in Finkenbach schätzen. Guru Guru stets dabei und immer einer der Höhepunkte und legendäre Wiederentdeckungen, wie die Band The Crazy World of Arthur Brown, die in den vergangen Jahren zweimal die Fans verzückte.
Denke ich an Mani Neumeier, dann kommt mir sofort der Begriff Weltenbummler in den Sinn. Indien, Japan, Neuseeland, Bali, USA, Australien… Regelmäßig und häufig ist er unterwegs, gern dem Winter in Deutschland entfliehend und immer auch in musikalischer Mission. Seine Frau Etsuko, mit der er wunderbare Duo-Konzerte gibt, lernte er 2004 bei einem Konzert in Japan kennen.
Er trifft sich mit regionalen Musikern, jammt, nimmt auf. Am intensivsten ist seine Zusammenarbeit mit den Japanern: „Acid Mothers Guru Guru“ mit Kawabata Makato (gt) and Tsuyama Atsushi (b) – ein geniales Gebräu aus elektrifizierter Improvisation und Rock. Eines der großen Konzerte übrigens, die mir immer im Gedächtnis bleiben werden: diese Band bei Enjoy Jazz 2012 (Fotogalerie auf den Jazzpages). Und ganz aktuell die Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Keiichi Miyashita, inklusive CD, aufgenommen Anfang 2015 in Tokio: „Echoshock – Krautorock“.
Die aufgenommenen Naturgeräusche und lokale Musik fließen in seine Arbeit ebenso ein wie Aufnahmen aus seiner Heimat im Odenwald: Froschgequake und fließendes Wasser, Vogelstimmen – faszinierend vor allem in den kleinen Besetzungen und den Soloalben. „Talking Drums“ von 2014 fasst diese Essenz seines Schaffens exzellent zusammen, „with a little help from some musical friends“: sensibles Zuhören und Sammeln von Sounds, spielerischer Umgang mit dem Material, Trommelkönnen und das alles transformiert in Kunst.
Fragt man Mani Neumeier heute, was er mit seiner Musik bewirken will, dann lautet die Antwort, dass er Menschen glücklich machen möchte. Es gelingt ihm und es möge ihm noch viele Jahre bei guter Gesundheit gelingen.
PS: geht in Konzerte, kauft Platten.