Die zwölfte Ausgabe des Just Music – Beyond Jazz Festivals sieht Festivalchef Raimund Knösche, der sich dieses „Amt“ mit Uwe Oberg teilt, „in Wiesbaden angekommen“. Angesichts des praktisch vollen Kulturforums mag man ihm Recht geben. In der deutschen Jazzszene hat sich Just Music allerdings schon seit einigen Jahren eine besondere Stellung erarbeitet: es gibt kaum ein weiteres Festival, das derart kompetent und konsequent nur zeitgenössische, jazzverwandte Musik auf die Bühne bringt.
Beginnen wir mit dem Anfang, und der war durchaus beeindruckend. Mit der Einladung für das Moritz Wesp Quintett katapultierten sich die Festivalmacher von der Kategorie „Experimentierfreudig“ direkt in die Riege der „mutigen Veranstalter“. Mutig auch das Quintett um den jungen Posaunisten Wesp, dem man eine Anbiederung ans Publikum sicherlich nicht vorwerfen konnte. Skurrile Ansagen des Bandleaders und Performance-Sperenzchen statt nennenswerter Musik. Eine bewusste Provokation? Avantgardistisch? Oder doch eine eher aufgesetzte Performance mit etwas dürftigem musikalischem Unterbau? Von kargen Orgelklängen untermalte Fantasie-Gebärdensprache des restlichen Quartetts, langanhaltender Wispergesang alle Bandmitglieder als letzter Programmpunkt – harte Brocken. Aber schön, wenn ein Festivalbeitrag zur Diskussion anregt. Der Vergleich mit Sun Ra, der im Vorfeld bemüht wurde, scheint etwas hoch gegriffen.
Auf den schnörkellosen Freien Jazz, wie er im folgendem Solo-Auftritt des Briten Pat Thomas am Flügel im Kulturforum Wiesbaden auf der Bühne zelebriert wurde, reagierten die Zuhörer deutlich enthusiastischer. Thomas spielte ebenso wuchtig und präzise wie fein ziseliert und bemächtigte sich der siebeneinhalb Oktaven seines Instruments mit Leidenschaft. Einen Hauch von Monk meinte man gelegentlich in der improvisierten Musik zu erlauschen. Im Wesentlichen allerdings ein Ticket für die Reise ins frei wandernde musikalische Gehirn dieses Ausnahmepianisten.
Die Digital Primitives mit Cooper Moore und seinen diversen, selbst gebauten, Instrumenten, dem israelischen Saxophonisten Assif Tsahar und Chad Taylor am Schlagzeug beschlossen den ersten Abend mit einer effektvollen Melange aus Jazz, Americana und Funk. Botschaften zu allumfassender Liebe und die Beschwörung des Blues als Mutter des Jazz waren gratis inklusive. Perfektes Entertainment, optisch wie musikalisch, wenn Moore auf der Piccoloflöte im Duo mit Taylor am Bühnenrand eine pittoreske Version von „God bless the child“ gibt, und nach dem ins Publikum geworfenen: „Do you want Rock’n’Roll?“, liefert er: das Haus wird mit der selbstgebastelten dreisaitigen E-Gitarre gerockt.
Vielfalt auf höchstem Level dann am zweiten Abend des Festivals. Eröffnet von „Die Fichten“, mit Leonhard Huhn am Altsaxophon, Stefan Schönegg am Kontrabass und dem Schlagzeuger Dominik Mahnig. Die drei Musiker aus Köln gehören zur jüngeren Kölner Szene und sind trotzdem schon seit einigen Jahren als Trio eine etablierte Größe. Preisbeglückt bei der 2014er Ausgabe des Tremplin Jazz im Rahmen des Avignon Jazz Festivals. Leo Huhn mit dem Jazzpreis der Stadt Köln bedacht und dem Horst und Gretl Will Stipendium 2015. Von ihm stammen die meisten der Kompositionen und sein exquisiter Altsax-Klang bringt diese Kompositionen zum Schweben.
Die Titel sind so originell wie die Interpretationen: „Negative Elefanten“ hört man als federleicht herumtänzelnde Fabelwesen, der „Flüsterasphalt“ dient ebenso als Inspiration wie Begegnungen mit einem serbischen Polizisten. Ein Trio, das sich hörbar gefunden hat, mit starken Melodiebögen in denen Huhn und Schönegg dicht zusammenspielen und mit ausufernden Passagen, in denen sich die Strukturen auflösen. Fantastisch Dominik Mahnig: reaktionsschnell, kommunikativ, gewitzt. Er hält sogar noch die Spannung, wenn er nur mit den Besen die Luft fegt.
„Im Wesen der Musik liegt es, Freude zu bereiten“ soll Aristoteles erkannt haben, und diese Freude konnte man vor und nach dem Konzert am Dauerlächeln der Schlagzeugerin und Perkussionistin Lucía Martínez ablesen. Nur im Konzert wurde dieses Lächeln von Konzentration abgelöst, wenn sie im dichten Zusammenspiel mit ihrem Duopartner Agustí Fernandez am Flügel musizierte. Die beiden waren für die magischen Momente des Abends zuständig: vor allem in den leisen Passagen, wenn Martínez nur leichte Akzente setzte und Fernandez mit locker dahingeworfenen Pianokürzeln antwortete. Aus diesen dezenten Geräuschcollagen entwickelten sich große dynamische Bögen, bis hin zu explosiven Ausbrüchen in denen die zierliche Spanierin auch mit Verve ihr Schlagwerk traktierte.
Die schwedische Formation „All Included“ um den Saxophonisten Martin Küchenbeschloss Abend und Festival. Der Bläsersatz wird ergänzt mit Thomas Johansson, Trompete, und Mats Äleklin an der Posaune, die Rhythmusgruppe besteht aus Jon Rune Strøm, Kontrabass und Tollef Østvang am Schlagzeug. Bass und Schlagzeug sind in dieser Bande essentiell: rhythmisch mit Kanten und extrem dynamisch sind die Beiden sowohl eigenständiger Gegenpart zum kräftigen Bläsersatz als auch deren Basis. Die drei Bläser befeuern sich gegenseitig: markante Themen einzeln entwickelt und paraphrasiert und im Kollektiv amalgamiert. Jazz mit Inspiration aus den 1960ern – da liegt der Geist von Mingus in der Luft – mit etwas weniger Blues in der musikalischen DNA, stattdessen eine ordentliche Prise freien europäischen Eigensinns. Dass diese Mischung auch ziemlich funkig-groovend daherkommen kann, springt im finalen „Satan In Plain Clothes“ ins Ohr.