Perkussionist Joss Turnbull zeigte seine Kreativität und Vielseitigkeit beim Preisträgerkonzert im Club 128qm in Darmstadt.
Das Sprungseil surrt durch die halbdunkle Luft, der Boxer zischt die Luft stoßweiße durch die Zähne. Er schneidet die Luft mit präzisen Schattenboxbewegungen: kontrolliert, präzise und rhythmisch. Der Boxer ist der Darmstädter Ahmet Cicek, internationaler deutscher Meister im Superfedergewicht, durchtrainiert, und erst seit einigen Tagen ein – nun ja – Mitmusiker von Joss Turnbull, Perkussionist und Mittelpunkt des Preisträgerabends im Club 128qm.
Den allerersten Kathrin-Preis bekam Joss Turnbull schon Ende 2018 zugesprochen, und damit eine einwöchige Arbeitsphase im veranstaltenden Jazzinstitut Darmstadt. Mit dem abschließendem Preisträgerkonzert und der offiziellen Preisübergabe. Dass es dabei zu ungewöhnlichen Begegnungen kommen würde war klar. Originelle und künstlerisch anspruchsvoll Bands waren die von der Jury vorgeschlagenen allesamt*. Dass die Wahl letztlich auf den Perkussionisten Turnbull fiel, mag ein Resultat seines besonders offenen Ansatzes sein, und – mal ehrlich – wer würde nicht neugierig werden, bei der Ankündigung eines Boxers auf einer Konzertbühne?
Man könnte das Duo Turnbull / Cicek als billigen Gag abtun, als typisch zeitgeistigen Eventjazz – falscher könnte man in diesem Fall jedoch nicht liegen. Tatsächlich ergibt dieses organische Duo großen Sinn in Kontext von Turnbulls Ansatz, unvoreingenommen auf – nicht nur – musikalische Partner einzugehen und Unbekanntes nicht zu scheuen. Improvisation nicht nur als gemeinsamen Ausdruck Gleichgesinnter zu verstehen, sondern bewusst als ein Sicheinlassen auf Begegnungen, die auf den ersten Blick nicht einmal eine musikalische Basis haben. Umso großartiger, wenn sich diese zwischen Tombak-Spieler und Boxer doch ergibt.
In der Pause dann die Preisverleihung. Moderiert vom Leiter des Jazzinstituts Darmstadt, Wolfram Knauer. Die Laudatio auf den Preisträger hielt der Chef der Alten Feuerwache Mannheim, Sören Gerhold – der kennt Joss Turnbull noch aus seiner Zeit als Studenten an der Musikhochschule Mannheim uns als sein Gastgeber in der Reihe „Zündeln“ in der Alten Feuerwache. Gerhold skizzierte den Werdegang und musikalischen Ansatz des Preisträgers und ließ auch dessen Unbehagen am akademischen Lehrbetrieb nicht aus. Ein Unbehagen, dass ihn nicht zuletzt dazu brachte als Alternative musikalische Zusammentreffen unterschiedlichster Art und über viele Grenzen hinweg zu suchen.
Für das zweite Set konnte sich Turnbull ein Wunsch-Ensemble zusammenstellen. Mit Léa Roger an der Harfe, die ebenso reichlich elektronisches Spielwerk nutzte, wie auch der Pianist Philip Zoubek, der sein expressives Spiel am Flügel immer wieder mit Ausflügen ans benachbarte Keyboard und Regler bereichert. Ergänzt wurde das internationale Ensemble durch den Obertonsänger Naranbaatar Purevdorj und den Trompeter Pablo Giw. Am Rande erwähnt: der ist mir in diesem Jahr als Highlight in der Vorjury beim Neuen Deutschen Jazzpreis ins Ohr gesprungen.
Das Quintett hatte also seit Montag intensiv gespielt und kommuniziert. Das Konzert wirkte allerdings frisch wie ein erstes spontanes Zusammentreffen. Auch hier finden sich erstaunliche Gegensätze, die im Zusammentreffen ausgezeichnet funktionierten. Mit Obertongesang von Naranbaatar Purevdorj, der sich mit Zoubeks und Rogers elektronisch erzeugten Klängen organisch mischt. Mit Turnbull als akustisch-perkussivem Motor, der im Zentrum eine Musik antrieb, die weder Worldmusic noch Jazz war, sondern eben eine Begegnung von Musikern mit vielen musikalischen Dialekten und mit Freude am Dialog. Ohne Regeln außer der einen: miteinander musikalisch zu sprechen.
Im Foyer des Veranstaltungsraum war ein überlebensgroßes Foto von Kathrin Lemke an die Wand projiziert, aufgenommen vom Berliner Fotografen Manuel Miethe. Sie blickte den Betrachtern direkt ins Gesicht, zugewandt und offen. Diese hellwachen Augen – und die Ohren dazu – hätten ihren Spaß an diesem Abend gehabt.
Den schönen Gedanken, zur Erinnerung an die – im Januar 2016 viel zu früh verstorbene – Saxophonistin Kathrin Lemke ein Stipendium, in Verbindung mit einer Preisverleihung zu initiieren, hatte ihre Mutter Irene Lemke-Stein. Sie legte mit einer großzügigen Spende den Grundstein für den „Kathrin-Preis“ – Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz Improvisers“, der alle zwei Jahre vergeben wird. Die Konzeption und Organisation des Kathrin-Preises liegt federführend in den Händen des Jazzinstituts Darmstadts und wird unterstützt von der Jazz-Zeitschrift Jazzthetik und den Jazzpages.
Jazzfotografie Frank Schindelbeck
* Neben Turnbull waren sieben weitere Musikerinnen und Musiker von den Mitgliedern der Jury für den Preis nominiert worden: Natalie Greffel, Erik Leuthäuser, Dominik Mahnig, Philipp Rumsch, Katrin Scherer, Cansu Tanrikulu und Rebekka Salomea Ziegler.
Glückwunsch von uns ;-)
Absolut verdient!