Die Neurobiologen sind verblüfft über die Rhythmus- und Melodie-Vernarrtheit unseres Gehirns. Das Gehirn liebt die Musik. Es giert nach Harmonien und wenn es seinen inneren Taktgeber verliert, dann hilft der Rhythmus.
Es darf bezweifelt werden, dass der Wiener Joe Zawinul sich mit der modernen Hirnforschung befasst. Zumal seine schlicht klingenden, aber komplexen Melodien und seine groovenden Rhythmen schon Welterfolge waren, als die Forscher noch längst nicht herausgefunden hatten, warum unser Kopf so viel Aufwand betreibt, um etwas anscheinend so Nutzloses wie Musik zu analysieren.
Doch wie Zawinul ohne Wissen um die Decodierungsleistung dieses menschlichen Organs genau die Melodien und Rhythmen trifft, die die Zuhörer begeistern, können diese den „World-Groove“ des Fusion-Maestro ohne wissenschaftlichen Hintergrund genießen.
Bei Miles Davis ist er bekannt geworden – und hat selbstbewusst formuliert, dass (musikalische) Söhne auf den Schultern des Vaters durchaus über den Horizont des Erzeugers hinaus schauen können. Mit seiner Band Syndicate entfachte der vor einigen Tage 71 Jahre alt gewordene Pianist und Komponist beim Konzert des Rheingauer Musik-Festivals in Kooperation mit der Rüsselsheimer Jazz-Fabrik ein Feuerwerk der Spielfreude, das nach knapp zwei Stunden nur des deshalb ohne Zugaben ein abruptes Ende nahm, weil er noch an selben Abend in einem Duisburger Konzert spielen musste.
Älter ist er geworden, der Magier der Elektronik – aber kein bisschen leiser. So rammten sich die Bässe in die Zwerchfelle der Zuhörer, schraubten sich die percussiven Sounds in die Ohren. Seine Melange aus Jazz, Rock und World-Music präsentiert Zawinul ohne Peinlichkeit und Anbiederung an die Kulturen. Vielleicht liegt es daran, dass die Besetzung der Band eben jene musikalische Symbiose widerspiegelt, die seine Kompositionen so reizvoll machen. Dass die Grundstruktur des Groove mit dem Lauf des Konzertes ein wenig eintönig wirkt, wird durch die Soli der Mitglieder glücklicherweise kompensiert.
Aus Kalkutta kommt der Gitarrist Amit Chatterjee, der im ersten Teil mit einem melismatik-reichen Gesang in der Tradition indischer Musik faszinierte. Manolo Badrena aus Puerto Rico steuerte vokal und vor allem als Percussionist die Lieder und Rhythmen seiner Heimat bei. Stephane Galland aus Belgien ist ein unglaublich präziser Drummer, der die kompliziertesten Rhythmusgeflechte stets in Time trommelte und Linley Marthe, der in Paris lebende Bassist aus Mauritius, spielte sein Instrument melodiös und schnell wie eine Gitarre, aber mit der Wucht einer Basstrommel. Sie alle hat Zawinul stets im Auge und hin und wieder auch Anlass mit Handbewegungen das Tempo zu beschleunigen.
Bleibt noch die in Brüssel lebende kongolesische Sänger Sabine Kabongo, die in afrikanisch gefärbten Vokalisen singt und scattet, aber auch bei einem Gospel mit weit tragender Stimme, dramaturgischer Dynamik, stilsicherer Phrasierung und einer für den zierlichen Körper unerwarteten Kraft die stimmlichen Höhen beherrscht. Aber auch Joe Zawinul trägt mit dem Vocoder seinen Teil zu den vokal-lastigen Konzert bei.
Vorherrschend jedoch ist seine Klangverliebtheit, die er in den flächigen Sounds seiner Synthesizer, den elektronischen Verfremdungen und den Klangfarbenspielen auslebt. Erfrischend sind schließlich einige Pianoläufe von Monkscher Sperrigkeit und künstlich erzeugte Flötentöne.
So produzierten Joe Zawinul & The Zawinul Syndicate vor allem Groove. Ein afrokaribisches Rhythmusgeflecht, das wie reine Körpermusik erscheint – denn mit der neuen Hirnforschung haben er und die Zuschauer sich – wie erwähnt – ja noch nicht befasst.