Jazzquartett „Common Ground“ beim Gesprächskonzert „Lebenslinien“ in Rüsselheim, 3. November 2017

Lebenslinien 2017 - Photo Mümpfer

Pianist Achim Kaufmann greift oftmals ins Instrument, zerrt die Saiten des Flügels, leitet manche Kompositionen aber auch mit kraftvollen Akkordeinwürfen ein. Er lässt die Läufe perlen, hämmert Cluster in die Tasten oder zitiert gar volksliedhafte Melodien – ganz wie Komponist Stefan Hakenberg es will. Saxofonist Sebastian Gille lässt sein Instrument eruptiv aufschreien, bläst lange und intensive sowie überspitzte High-Note-Linien, grummelt in den Untertönen oder setzt gar seinen Atem als Geräusch ein. Bassist Matthias Akeo Nowak streicht und zupft harmonisch reizvolle Linien, während Bill Elgart die Felle seiner Trommeln sanft mit den Besen streicht oder mit den Sticks – vor allem in der perkussiven Hakenberg-Komposition „Fell nicht so dick“ – hart und polyrhythmisch schlägt. Dann klopft der Bassist den Korpus seines großen Instrumentes, presst der Saxofonist seine Stakkatos aus dem Blech und greift der Pianist in rasenden Läufen in die Tasten.

Das Jazzquartett „Common Ground“ mit Matthias Akeo Nowak, Sebastian Gille, Achim Kaufmann und Bill Elgart sorgt in diesem Gesprächskonzert für jazzige und zumeist freie Sounds. Die Musik verrät technische Perfektion der Akteure sowie zugleich das Jazz-Einfühlungsvermögen des 1960 geborenen Komponisten, der unter anderem bei Hans-Werner Henze studierte. „Common Ground“ wird auch als Generationen übergreifende Formation gesehen, erläutert der Bassist.

„Kunst und Kultur ist der Kitt der Rüsselsheim prägt und zusammenhält“, betont Moderator Dudek in seinen einleitenden Worten zu den „Lebenslinien“ der Rüsselsheimer Malerin Inge Besgen. „Lebenslinien“ ist ein interdisziplinäres Projekt, das die Initiatorin nun schon in der elften Auflage im Theater der Stadt präsentiert. Komponist Stefan Hakenberg und Künstlerin Besgen wollen diese Zusammenarbeit für mindestens fünf weitere Jahre fortsetzen.

„So rebellisch war ich doch nie“, protestiert die 86-jährige Elfriede Rehm auf die Frage des Moderators Stephan Dudek, ob sie sich in der Musik „Immer wieder aufgestanden“ von Stefan Hakenberg erkannt habe. Sie gesteht aber, dass die Komposition „Immer wieder aufgestanden“ sie „ansonsten“ treffend charakterisiert. Ähnlich ergeht es der Reisebüro-Leiterin Marianne Przybylski-Heczko, die auf die Frage Dudeks antwortet, es sei ihr schwer gefallen, sich in der Musik „Fell nicht so dick“ zu erkennen.

Vielleicht liegt es daran, dass der Darmstädter Stefan Hakenberg die Rüsselsheimer Bürger des interdisziplinären Kunstprojektes „Lebenslinien“ der Künstlerin Inge Besgen nur indirekt aufgrund einer Aussage und des Profils der Psychoanalytikerin Brigitte Pahlke musikalisch porträtiert. Möglich ist aber auch, dass die Betroffenen ihre verborgenen Sehnsüchte nicht so klar sehen.

So sagt der langjährige Sportler Ralf Jurcyk zwar, dass er sich selbst als harmonisch und ruhig einschätze, die lebhafte Komposition „Hinausgelaufen“ aber den Faden genau getroffen habe. Ähnlich ergeht es Horst Aussenhof, Pädagoge und Gründer der IKS-Bigband, der sich mit der Komposition „Gänsehautmomente“ treffend charakterisiert sieht.

Die Struktur, die sich als „Lebenslinie“ durch ihr Schaffen zieht, ist ein zentrales Thema der Malerin Besgen ist. Für jedes Projekt sucht sie einige Bürger für lange Interviews aus, auf deren Aussagen die Psychiaterin Pahlke anonymisiert Profile ausarbeitet, die wiederum einem Komponisten zur musikalischen Umsetzung vorgelegt werden.


Text und Fotografie von Klaus Mümpfer – Mümpfers Jazznotizen

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