Text: Klaus Mümpfer / Fotos: Edition Salzgeber
„Sie hat meine Seele berührt“, gesteht der Impressario Fritz Rau, wenn er sich an Inge Brandenburg erinnert. „Ihr Gesicht ist wie eine Landschaft“, stellt der Mann, der viele tausend Konzerte mit Jazz-, Blues- und Rockmusikern betreut hat, an anderer Stelle fest:
Vielfältig und unergründlich wie eine Landschaft war auch die Stimme von Inge Brandenburg. Wenn sie mit ihrem dunkeln Timbre, voller Inbrunst und mitreißender Ausdrucksstärke „The man I love“ oder „Take all of me“ interpretiert, dann kann der Zuhörer verstehen, dass sie Ende der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zur besten Jazz-Sängerin gekürt und selbst in Amerika, dem Mutterland des Jazz, als Künstlerin gefeiert wurde. Kritiker schwärmten von Inge Brandenburg und verglichen sie mit der unvergessenen Billie Holiday.
Doch Schönheit und Kraft entspringen oftmals dem Schmerz. Marc Boettcher hat nach vier Jahren Recherche unter dem Titel „Sing, Inge, Sing“ einen fast zweistündigen Film über Inge Brandenburg gedreht. Es ist ein anrührender Streifen über den zerbrochenen Traum einer begnadeten Künstlerin, der nach einer schweren Jugend voller Leiden sowie Höhepunkten und Tiefen in der beruflichen Karriere 1999 in einer ärmlichen Wohnung in München endete. Nur etwas mehr als ein halbes Dutzend Freunde folgten dem Sarg zum Armengrab.
Boettcher hat sensibel die oft gegensätzlichen Aspekte der zweifellos schwierigen Persönlichkeit beleuchtet und dazu neben zahlreichen Zeitzeugen wie Udo Jürgens, Wolfgang Dauner, Peter Herbolzheimer, Pierre Courbois auch Archivmaterial der Printmedien sowie Filmausschnitte und Tondokumente aus Konzerten herangezogen.
„Sie war außergewöhnlich nach bürgerlichen Maßstäben“, sagen die Jazzmusiker Klaus Doldinger und Emil Mangeldorff. „Sie war radikal“ im Denken und Auftreten, ergänzt Rau. So offenbart Boettcher das tragische Leben einer extrem komplexen und widersprüchlichen Frau.
Inge Brandenburg kommt selbst ausführlich zu Wort. Ihre Erzählungen und Bekenntnisse machen eindringlich nachvollziehbar, wie aus Enttäuschung Frustration und Existenzangst wird. Doch es gibt auch Lichtblicke, in denen Hoffnung und Selbstbewusstsein die Oberhand gewinnen. Dann sind es die zahlreichen Einspielungen der Jazzklassiker, in denen Inge Brandenburg mit bestechender Time, variabler Ausdruckskraft und intensiven Emotionen fasziniert. Am Beispiel „Summertime“ erläutert die Sängerin, wie sie ihre Stimme unkonventionell instrumental einsetzt.
„Ich bin glücklich, dass man sich ihrer erinnert“ kommentiert Fritz Rau das Werk des Biografen und Regisseurs Boettchers. So nebenbei dokumentiert der Film auch die Kulturgeschichte der Pop- und Jazzmusik im Nachkriegsdeutschland.
In Eränzung des Films, der seit einigen Wochen in den Kinos läuft, hat Marc Boettcher eine CD „Sing! Inge! Sing! – Inge Brandenburg“ mit 22 Songs vorgelegt. Die Aufnahmen stammen zum großen Teil um 1960 und sind technisch gut aufgearbeitet. Auch sie belegen, dass die Sängerin zu Recht als eine der besten Jazz-Sängerinnen Europas galt.