Auf dem Jazzfestival Balverhöhe 1981 trat der Drummer Lala Kovacev mit seiner Balkan Improvisations auf. Als einen der Hauptsolisten rückte er den 24-jährige Gunther Klatt aus München in den Mittelpunkt und der ließ sofort aufhorchen. Einen Tag später wurde dem Newcomer mit seiner eigenen Band ‚Naima’ ein spektakulärer Erfolg auf Bühne in der legendären Felsenhöhle zu teil, mit dem er selbst nicht gerechnet hatte. Lala sozusagen als Entdecker und Mentor, saß wieder an den Trommeln und sorgte anschließend bei JG Records für den ersten Studiogig. Mit der Veröffentlichung seines ersten Leaderalbums „The Horn is Back“ (JG Records 9) im Jahre 1982 galt Gunther Klatt in den 80er Jahren kometengleich als einer der herausragenden Hoffnungsträger der deutschen Jazzszene, aber im komplizierten Gestrüpp des Geschäfts auch sofort als Enfant terrible. Ein Umstand ließ dies um so deutlicher in Erscheinung treten, da er in Konkurrenz zu all den Jüngern aus den Jazzschulen, als Autodidakt die Szene betrat, einer, der nur schwer zu kategorisieren war. Kein geringerer als J.E. Berendt verlieh ihm gleich den Ritterschlag und beschrieb ihn als „…die größte Entdeckung in der Deutschen Jazzszene seit Jahren!“
Sofort mit dem Begriff „Heiße Kanne aus München“ apostrophiert, ging es dann Schlag auf Schlag: Bester Newcomer bei der First European Competition in Leverkusen 1982, mit anschließender Entsendung als deutschen Beitrag zum E.B.U. Festival 1983 in Pompeji, mit angeschlossener Tour durch Italien sowie Kulturpreisträger seiner Heimatstadt München. Entsprechende Preisgelder ermöglichten ihm einen mehrmonatigen Aufenthalt in New York – dem Mekka des Jazz. Gleichzeitig zog er bis 1984 mit den Balkan Improvisations über alle Bühnen Europas und machte sich einen Namen. Dieses musikalische Umfeld förderte nicht nur seine Auseinandersetzung mit ungeraden Metren, sondern sicherlich auch seine Entwicklung hin zu rhythmisch offenen Konzepten. Mit von der Partie war auch immer sein Piano-Buddy Paul Grabowsky und mit diesem ließ er auch keine Gelegenheiten aus, sich mit eigenen Projekten Gehör zu verschaffen. Und das war das Markenzeichen seines musikalischen Weges: Nichts Erlerntes, jeder Anschein von Mechanischem war im zu wider, bei ihm herrschte immer das Dionysche; dies war sein Lebenselixier, was aber immer auch mit einem kleinen Schritt in die Obsession verbunden schien. Für mich zählte er damit zu den typischen Exponenten seiner Generation – ‚ zu den „des enfants perdu“ der Nachachtundsechziger.
Folgerichtig erweiterte1884/85 Klatt seine Band mit dem Posaunisten Marty Cook zum Quintett und legte das Album „Strangehorn“ im Eigenverlag vor. Dieses Quintett reduzierte er immer wieder auf das „Trio Immense“ mit dem er auch auf den Jazzfestivals in Frankfurt und Burghausen auftrat, sowie durch Indien und die Türkei tourte. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre erregte er mit „Elephantrombones“ – sein Trio Immense erweiterte er mit vier Posaunisten zu einem Septett – größte Aufmerksamkeit, was 1988 zu einer Veröffentlichung „Live At Jazzfestival Leverkusen“ auf Enja Records führte. Der Band gehörten unter andern Joerg Drewing, Posaune, Jürgen Wuchner, Bass und Andres Krieger, Schlagzeug, an – und sorgte auf vielen Festivals unter anderem Ost-West Nürnberg, auf den Jazzfestivals in Berlin, München und Zürich für Furore. Kommerziell erwies sich die Sieben-Mann-Band allerdings als Flopp und stellte den Betrieb bald ein.
So lotete Klatt Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre unter dem Motto „Mainstream, nein Danke“ die Grenzen des Jazz aus und landete bei der Ballade. Er entwickelte seinen Hang zu dieser Disziplin zur „Hohen Kunst“ des Duospiels weiter. Zusammen mit der japanischen Pianistin Aki Takase erhielt er dafür 1990 mit dem Album „Plays Ballads of Duke Ellington“ (Tutu CD 888116) den Preis der Deutschen Schallplatten Kritik. Mit dem gleichen Konzept tourte er mit dem Pianisten Tizian Jost im Auftrag des Goetheinstituts um die halbe Welt; dabei entstand 1993 das Album „Live in Mexico City“ (Tutu CD 888184, veröffentlicht 1987). Auch dieses Album erhielte höchste Weihen durch J.E. Berendt: „…vielleicht ist es einer Deiner schönsten (Alben). Du hast auch eine so gute Hand im Wählen der richtigen Stücke. Ich höre das und denke: Genau so und nicht anders muss es gespielt werden. Und dann denke ich an all die großen Tenoristen, die nicht mehr unter den Lebenden weilen“ schrieb Berendt im Brief vom 30.10.1997 der an Gunther Klatt c/o Tutu Records gerichtet war.
Zwischendurch tourte er mit seiner US-Line-up New York RazzMatazz – der Band gehörten Kuumba Frank Lacy Posaune und Trompete, Ed Schuller Bass und Ronnie Burrage, drums, oder auch John Betsch an. Diese Phase ist auf dem illusteren Album für Tutu „FaMozzo“ (Tutu CD 888158) dokumentiert. Er stellte sich der Herausforderung einer crĕme la crĕme afroamerikanischer Musiker und bestand diese glänzend, auch wenn er von da an unter den Einheimischen als Abtrünniger galt. Willy Geschwendner schrieb im Jazz Podium dazu: „Die Band hat einen seltenen Biss und ist erfüllt von außergewöhnlicher Vitalität und Spielfreude, weniger Soli als kollektive Aussagen (mit) sich fast uferlos befruchteten Bläsern, die keinen Moment ohne einander auszukommen scheinen… ! Dazu eine Rhythmusgruppe von aller erster Güte … sich ideal ergänzt und eine für ein Quartett ungeahnte musikalische Vielfalt – das sind Markenzeichen at the best!“
Ansonsten hat Klatt nebenbei einige Farbtupfer gesetzt. So holte ihn 1992 sein australischer Freund Paul Grabowsky extra nach Melbourne als Hauptsolisten für den Soundtrack „The Last Days of Chez Nous“ ein internationale besetzter Film u.a. mit Bruno Ganz, der bei Kritikern hohe Anerkennung fand oder er trat mit „Bayerischen Gstanzl“ unter anderem mit Leo Gmelch an der Tuba oder dem Posaunisten Johannes Bauer auf – auch Obskuritäten, die erahnen lassen, dass Klatt als Künstler zu den Opfern des Kulturbetriebs zu zählen ist, der einem nicht verzeiht, zu oft zur falschen Zeit, am verkehrten Ort, das falsche „Produkt“ abgeliefert zu haben.
Ende der 90er Jahre zog sich Klatt nach und nach frustriert aus der Jazzszene zurück und trat nur noch sporadisch im Duo – etwa auf dem Berliner Jazzfest 1998 auf. Fortan konzentrierte er sich – auch künstlerisch erfolgreich – auf seine anderen Talente als Maler, Bildhauer und Bühnenbildner, unter anderem wieder mit so einem folgenlosen Tupfer, einer Bildkollektion über Venedig mit satten Farbspielen, gewaltig von fast erdrückender Expressivität, in der selben Sensitivität wie die seines Saxophonspiels.
Wer in der Kunst was zu sagen weiß, benötigt auch die Provokation und Klatt liebte die Rolle des Provokateurs. Im Jazz ist sie vor allen Dingen situationsbedingt atmosphärisch herstellbar und so wurde die Herausforderung egal ob gegenüber dem Publikum, Veranstaltern oder seinen Mitspielern, Teil seiner Bühnenpräsenz; solche erfrischenden Signale in der allgemeinen „Jazztristess“, fanden aber nicht immer ungeteilten Beifall. Genüsslich erinnere ich mich an das Jazzfestival in Münster 1988. Die Tomasz Stanko Freelectronic aus Polen konnte kurzfristig nicht einreisen. Man kontaktierte mich wegen eines Ersatzes. Mit einer Telephonaktion schaffte ich das Gunther Klatt Quartet für den nächsten Tag herbei. Nachts um zwei beim frühmorgendlichen Auftritt drangsalierte er die Veranstalter während seiner zahlreichen Ansagen mit dem Begriff der „Ersatzkapelle“ an dem er im Verlauf immer mehr Gefallen fand – die Verantwortlichen fanden das aber gar nicht komisch. Meine Beschwichtigung zu den Verantwortlichen damals: „So is a halt, der Klatt!“
Günther Klatt verstarb am 9. Dezember diesen Jahres nach längerer Krankheit im Alter von 55 Jahren. Trotz nur sechs Leaderalben wird er als origineller Tenorist; als Instrumentalist einen bleibenden Stellenwert beanspruchen können. Er fühlte sich eher den Vätern des Tenors Coleman Hawkins, Ben Webster oder Sonny Rollins – und deren melodischem Impetus – verpflichtet; weniger einer Stilistik John Coltranes, die eher dem damaligen Zeitgeist entsprochen hätte. Nicht zu vergessen seine Qualitäten als Bandleader und origineller Komponist: Tief verwurzelt in der Jazztradition wagte Klatt konzeptionell, gemeißelt, sehr stimmige Ausflüge in frei improvisierte Gefilde. Er war ein Querdenker, ein Musiker, der sein künstlerisches Anliegen, ganz seinem Naturell entsprechend, fast immer gegen den Strich bürstete. So hinterlässt Gunther Klatt eindrucksvolle Spuren in der deutschen Jazzszene, wenn auch gemessen an seinem großen Talent, leider viel zu wenige.
Selected Discography:
Gunther Klatt Quartet. The Horn Is Back (1982) LP JG Records 9
Lala Kovacev Group, Balkan Improvisations (1982) LP RTB 2120992
Gunther Klatt Quintet: Strangehorn (1985), LP Eigen 01
Gunther Klatt & Elephantrombones (1988) Enja LP 5069; CD 5069-62
Gunther Klatt & Aki Takase, Art of the Duo Plays Ballads of Duke Ellington (1990) Tutu CD 888116
Paul Grabowsky Soundtrack “The last days of chez nous”, Melbourne (1992) CD DRG 12607
Gunther Klatt & New York RazzMatazz, Fa Mozzo 1995, Tutu CD 888158
Gunther Klatt & Tizian Jost /Art of the Duo ‘Live in Mexico City’ (1998) Tutu CD 888184