Im Backstage hörten sie Beethoven – Das Sun Ra Arkestra in Mainz (Fotos Schindelbeck)

Upart e.V. und Frankfurter Hof präsentierten am 17.5. das Sun Ra Arkestra under the direction of Marshall Allen

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie in der Newsgroup rec.music.bluenote, Mitte der 1990er Jahre der virtuelle internationale Treffpunkt für Jazzfreunde im Internet, nach Sun Ras Tod die Meldungen zur desolaten Situation des Arkestras auftauchten. Das Dach überm Kopf in Philadelphia war in Gefahr und hinten und vorne funktionierte rein gar nichts. Seinerzeit hätte kaum einer gedacht, dass diese für Außenstehende skurril wirkende Truppe es packen würde. Dass das Arkestra auch im Jahr 2019 nicht nur existiert, sondern sogar – für Jazzverhältnisse – große Zuhörermassen anzieht. Aber: auch in den Frankfurter Hof, der in Kooperation mit Upart e.V. das Konzert in Mainz veranstaltete waren reichlich Fans gepilgert.

Mittlerweile spielt das Sun Ra Arkestra unter Leitung von Marshall Allen wieder viel, und oft in größeren Spielstätten und auf Festivals. Der geglückte Weg ins 21. Jahrtausend hing vor allem an einem Mann, den man nur bestaunen und lieben kann: Marshall Allen. Der Altsaxophonist und Multiinstrumentalist hat sein Leben dieser fabelhaft farbenprächtigen, wilden und merkwürdigen Band gewidmet.  

Wenn man die Gelegenheit hat – und die Chance ist so schlecht nicht, er ist ein netter Mensch – abseits der Bühne kurz mit Marshall Allen zu sprechen, dann hat man es mit einem offensichtlich glücklichen Menschen zu tun. Und das lag in Mainz gewiss nicht nur an Beethoven, der in der Pause backstage lief. Da ist einer, der seine Bestimmung im jahrzehntelangen musikalischen Spiel mit seiner Band gefunden hat. Seinen Platz in der Welt, der ihn auch um die Welt geführt hat. Eine Never-ending-Tour. Nicht wenige seiner aktuellen Mitmusiker waren schon zu Sun Ras Lebzeiten im Arkestra aktiv, die Saxophonisten und Flötisten James Stewart und Danny Ray Thompson, der Saxophonist Knoel Scott, Perkussionist Elson Nascimento, Vincent Chancey am Horn…

Eingefügt haben sich einige jüngere Musiker – und in Mainz auch ein paar Stellvertreter für verhinderte Kollegen – und die Sängerin Tara Middleton, die im aktuellen Arkestra präsenter ist, als es ihre Vorgängerin June Tyson war. Insgesamt eine organische Entwicklung von Band und Musik.

Das aktuelle Arkestra ist musikalisch eine Art von Jazzenzyklopädie. In den 1950er Jahren begann es als vorzügliche Swing-Bigband – und diese frühen Aufnahmen, wie „Supersonic Jazz“ oder „Jazz in Silhouette“, letztere schon mit Marshall Allen, seien wärmstens empfohlen. In den 1960er Jahren gab es dann reinsten avantgardistischen Free Jazz. Aufnahmen, bei denen das markante Glissando von Allens Altsaxophon schon die Akzente setzte. Es folgten die von „Space is the place“-Mystik getränkten Alben, bis hin zu fast schon poppigen Werken wie „Lanquidity“.

Im heutigen Arkestra finden sich diese Einflüsse amalgamiert, auf der Basis von Swing – und Hölle, wie kann diese Band swingen – mit Blues, Bebop-Phrasen und eben auch mit wilden Free Jazz Einsprengseln. Anarchisch klingt das, und mit Mut zur Schrägheit wird es gespielt. Hier kann man sie noch hören, die unakademisierte Essenz des Jazz, die aus der Schule des Lebens statt von der Jazzhochschule stammt. Vor fünf Jahren spielte das Sun Ra Arkestra in Weinheim, am 25. Mai, Marshall Allens 90. Geburtstag, und am 2. Juni ist er wieder dort. Vermutlich auch im Jahr 2024, dann mit dem hundertjährigen Marshall Allen – es wird ein weiteres Fest.

| Sun Ra Arkestra official website
| Upart e.V
| Frankfurter Hof

Jazzfotografie Frank Schindelbeck

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