Der Gast aus München erforscht eine Region des modernen Jazz: Symmetrisch Strukturen sind für den Bassisten Henning Sieverts elementar. Das Konzert des Bassisten mit einem Quintett aus Studierenden im „Jazzforum“ der Mainzer Musikhochschule beginnt fast hymnisch. Den Soli des Tenorsaxophonisten Viktor Fox und des Pianisten Lukas Moriz folgt ein fast harmonischer Lauf des Kontrabasses von Henning Sieverts. In das „Helle Hören“ fallen der Schlagzeuger Leopold Ebert und Bennie Lindner mit der Trompete ein. Der pfiffige Bassist und Komponist aus München liebt musikalische Vexierbilder, die in spiegelverkehrte Melodien einfließen.
Ein Beispiel dafür ist beim Mainzer „Jazzforum“ ist die einzige nicht von Henning Sieverts stammende Komposition, Charlie Parkers „Blues for Alice“: das Stück beginnt zunächst „normal“ und wird nach einem ausgedehnten Piano-Ausflug quasi rückwärts mit hellem Klang von Klarinette und Trompete abgeschlossen.
Symmetrie wird kompositorisch in der Akkordstruktur, bei Intervallreihen oder bei der Verschiebungs-Symmetrie realisiert. Endlos sind Sieverts Überlegungen zu diesem Thema. Was als Gedankenspiel beginnt, bringt in der Regel neue, verblüffende Ansätze für homogene Kompositionen hervor.
In Mainz lebte die Musik des Bassisten und den Studierenden von Gegensätzen und Freiheit. Während die Klarinette süffig-fließende Linien spielte, mochte es die Trompete sperriger und verkanteter. Konventioneller Swing und percussives Spiel mit immer wieder wechselndes Tempi mündeten in einen filigranen Lauf des Gitarristen Simon Schaefer. Der Bass wurde mal in harmonisch raffinierten Läufen gezupft, mal getragen mit dem Bogen gestrichen. Ohne Metrum frei parlierend, mit Beats wild treibend oder schwebend atmosphärisch – bei Sieverts Tutti ist alles möglich. „Sun on my face“ passte in die Jahreszeit mit dem strahlenden Sonnenschein und ist ein Beispiel dafür, wie Sieverts auf diversen Art der Symmetrie baut.
Der 52-Jährige aus München verfügt über eine gehörige Portion Humor. Von einem Film ließ es sich zur Komposition „Will Till Still Kill Bill?“ anregen. Auf der Liste im „Jazzforum“ standen für das Sextett außerdem ein irrlichternd freies „Ebird“, ein „Evile Olive“ sowie „Wheel of Fortune“. Das Programm spricht von einer vitalen Musik, die im Zusammenwirken von symmetrische Strukturen, Renaissance, polyrhythmischer Vielschichtigkeit und leidenschaftlichem Swing entsteht.
Henning Sieverts ist vielfach ein Grenzgänger von Klassik und Jazz. Er komponierte neben ungezählten Jazzstücken auch klassische Werke, darunter die Bach´s Blüten-Suite für Kammerorchester und Jazz-Quartett. Mehrere Orchesterstücke, ein Streichquartett und kammermusikalische Werke für Cello oder Bass und Klavier zeugen von Henning Sieverts schier grenzenloser Kreativität.