Enjoy Jazz Festival 2022 – Jazzpages Rückschau

Man wünscht sich die Leichtigkeit und den anregenden stetigen rhythmischen Puls mit dem Sona Jobarteh mit ihrer Band das diesjährige Enjoy Jazz Festival im Heidelberger Schloss eröffnete. So ganz allgemein im Zentrum einer unguten Außenwelt. Festivalchef Rainer Kerns kurze Botschaft zum Festivalbeginn dazu könnte man mit „Macht was!“ zusammenfassen. Die gambische Kora-Spielerin und Sängerin ist nicht nur eine beeindruckende Musikern, sondern zudem eine Weltverbesserin ganz im Konkreten. Soziale Bildungsprojekte in ihrer gambischen Heimat liegen ihr am Herzen und diskriminierungsfreies Handeln auf allen Ebenen – sie spricht im Konzert ausführlich darüber.

Sona Jobarteh

Gesellschaftspolitische Themen, Kritik an Diskriminierung von „people of colour“ bis zu jüdischen Mitbürgern – ins Programm gespiegelt durch Künstlerinnen und Künstler, die diese Themen glaubwürdig vertreten. Die Ansätze dazu sind sehr unterschiedlich und im Verlauf des Festivals zu erleben. Von eher agitationsgeprägter Multimediaveranstaltung der Klarinettistin und Performerin Angel Bat Dawid, die musikalisch eher weniger überzeugen konnte und die in der „Broecking Lecture“ zwischen Emotionalität und Irrationalität schlingerte, bis zum sowohl spirituell als auch musikalisch überzeugenden Ben LaMar Gay Ensemble: „Bewusstmachen“ kann auf vielen Wegen in die Köpfe der Zuhörer bewegt werden.

Angel Bat Dawid

Ben LaMar Gay

Das Konzert von Ben LaMar Gay gehörte zu den Highlights des Enjoy Jazz Festivals 2022: Das Quartett des Multiinstrumentalisten, der vor allem als Trompeter auf der Bühne der Alten Feuerwache Mannheim aktiv war, aber auch als Sänger und Perkussionist – so wie auch seine Musiker immer wieder im kollektiven Gesang oder mit gemeinsamem Spiel mit Glocken und Glöckchen schamanenhafte Musik zelebrierten. Die Band aus Chicago ist stilistisch nicht festzunageln. Jazzroots, natürlich, aber ebenso Elemente aus diversen Spielarten „schwarzer“ Musik bis in die Weltmusik. LaMar Gay erinnert mit seiner Trompete und seinem spielerischen Umgang mi vielen musikalsichen Einfüssen mehr als einmal an Don Cherry, ebenso ein Wanderer zwischen musikalischen Welten, der viele Einflüsse zu einer eigenen Musik amalmagierte. Musik, die auch bei LaMar Gay den „spirit of the ancestors“ und damit eine humanistische und damit auch politische Botschaft weiter trägt.

Amirtha Kidambi

Unmittelbarer die Botschaften der indischstämmigen Sängerin Amirtha Kidambi aus Brooklyn: in ihren Texten greift sie die üblen Seiten der amerikanischen Gesellschaft auf, die sich seit Jahrzehnten durch deren Geschichte ziehen.  Rassismus, Gewalt, Ungleichheit – Themen die auch die Trompeterin Jaimie Branch auf die Bühne im dasHaus in Ludwigshafen auf die Bühne gebracht hätte – wäre sie nicht wenige Monate zuvor verstorben. In der Band von Kidambi waren Musiker aus dem Umfeld des Labels International Anthem, die auch mit Jaimie gespielt haben, der Cellist Lester St. Louis und der Schlagzeuger Jason Nazary. Die beiden Musiker erinnerten an ihre verstorbene Freundin mit einem Gedenkkonzert, das leider von wenigen Menschen besucht wurde.

Ditzners Carte Blanche 2022

Auch das Enjoy Jazz Festival litt eben noch unter den schwierigen Bedingungen, die der Kulturbranche generell zu schaffen machen. Ein Teil des Publikums scheint als Nachwehe der Coronapandemie verschwunden, die allgemeinen finanziellen Belastungen werden manchen Konzertbesucher auch einmal eine Veranstaltung haben streichen lassen. Trotzdem: Welche Konzerte gut oder weniger gut besucht waren, hing von verschiedenen Faktoren ab. Ein Local Hero wie Erwin Ditzner füllte die Alte Feuerwache mit seiner Carte Blanche – wie gewohnt mit einer außergewöhnlichen und spannenden freien Formation, die diesmal die Freiheit sogar im Bandnamen trug. Im „Freedom Orchestra“ hatte er einige der wichtigsten Köpfe der freien Jazzszene um sich geschart. Achim Kaufmann am Piano, Rudi Mahall an der Bassklarinette und das junge Talent Fabian Dudek am Altsaxophon. Der Bläsersatz ergänzt mit Matthias Muche an der Posaune und – wie meist – Sebastian Gramss am Kontrabass. Eine fulminante Band, die sich in ihrer heterogenen Zusammensetzung zügig zusammenraufte und sich in aller Freiheit zusammenimprovisierte.

Lukas deRungs Kosmos Suite

Sehr gut besucht war eines der Kirchenkonzerte in Mannheim. Pianist Lukas DeRungs lebt in Mannheim und hat dort und in London studiert. In der Konkordienkirche präsentierte er sein bislang ambitioniertetes Projekt, die „Kosmos Suite“. Gemeinsam mit dem Jazzchor Freiburg und Musikern seines Quintetts, dazu mit den Altarraum füllende Visuals, entwickelte sich eine beeindruckende Suite in einer genreübergreifenden, vor allem modern sakral anmutenden Form. Die schöpferische Kraft des jungen Pianisten ist in jedem Moment des Konzerts präsent. Vom Zusammenspiel kleiner Teilformationen, gelegentlich sogar mit Gesang des Bandleaders, bis hin zum fulminanten Chorfinale in voller akustischer Farbenpracht: hier zeigt sich Fähigkeit von deRungs eine große Form zu strukturieren und einen großen Bogen zu spannen. Wenn auch in anderer Form als bei den Kolleginnen und Kollegen aus der Chicagoer Schule stehen spirituelle Botschaften im Mittelpunkt: Aufbruch, Lebensreise, Tod.

Alfa Mist

The Comet is Coming

Ebenfalls meist gut besucht waren „angesagte“ Bands. „Alfa Mist“ oder „The Comet is Coming“ zogen ein junges Publikum, die Freunde afrikanisch rhythmisch geprägter Musik trafen sich und tanzten beim „Balimaya Project“, das Duo Elina Duni und Rob Luft lockte als bekannter ECM-Act viele Menschen in die Peterskirche in Heidelberg. Warum aus dem „gleichen Stall“, im hochkarätig besetzen – und gespielten – Konzert von Marilyn Mazur, Anja Lechner, Nils Petter Molvaer und Jakob Bro fast die Hälfte der Plätze frei blieb: eher rätselhaft.

Balimbaya

Mazur, Lechner, Molvaer, Bro

Eina Duni / Rob Luft

Joel Ross

Ditzner Lömsch in der Blindenschule Ilvesheim

Die Programmierung des Festivals war nicht schuld. Die war gewohnt vielfältig und hochklassig mit einem Blick fürs Regionale (Alexandra Lehmler, Christof Keller, Enjoy Jazz Schul-Bigband, Ditzner Lömsch Duo, Julian Maier-Hauff’s Synaesthesima Ensemble), für große Namen (Abdualla Ibrahim, Bill Frisell) und in diesem Jahr mit gleich zwei pianistischen Artists in Residence. Nik Bärtsch war einer davon, die Andere die griechische Pianistin Tania Giannouli.

Tania Geannouli und Sun Mi Hong

Beide spielten sich mit unterschiedlichen Projekten durchs Programm, Tania Giannouli und die Schlagzeugerin Sun Mi Hong begeisterten in der Heiliggeistkirche in einem dichtgesponnenem Duo. Typisch war dieses Konzert auch für den hohen Frauenanteil des Festivals. Im nächsten Jahr dann auch wieder beim SWR-Preisträgerkonzert – typischerweise wird hier brav zwischen Männlein und Weiblein gewechselt. In diesem Jahr erhielt den Preis der Bassist Petter Eldh. Der umtriebige Musiker und Produzent spielte sein Preisträgerkonzert in diesem Jahr mit dem Trio „Enemy“ mit Kit Downes (p) und James Maddren (dr). Ein hervorragendes Konzert, auch wenn man aus den Vorjahren gewohnt war, die oder den Preisträger in zwei verschiedenen Formationen auch in anderen Facetten kennenzulernen.

Petter Eldh und Enemy

Im Jahr 2023 feiert das Enjoy Jazz Festival seine 25. Ausgabe. Man darf gespannt sein, wie dieses Vierteljahrhundert-Ereignis begangen wird: Vorfreude!

| Enjoy Jazz Festival

Alle Enjoy Jazz 2022 Photos: Frank Schindelbeck.

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