Text und Photo: Hans Kumpf
2009 feierte Hagen Kälberers Film über den tragischen Cool-Trompeter Chet Baker (1929-1988) im „Kino im Schafstall“ seine Weltpremiere, jetzt gab es in Hall eine cineastische „Vor-Uraufführung“, welcher der musizierende Hauptdarsteller allerdings quicklebendig beiwohnen konnte: Günter „Baby“ Sommer, Schlagwerker aus Dresden.
Drei Wochen vor dem ihm gewidmeten „Weekend“ kam der weltweit tätige Drummer und Komponist kurz von der Elbe an den Kocher, um seinen Portraitfilm „Als Mensch ein Solist“ zu präsentieren. Diesen will ein Hamburger Vertrieb eigentlich erst im 2. Quartal 2014 auf den Markt bringen – deshalb handelte sich bei dieser höchstinteressanten Vorführung des Kinos im Schafstall noch um eine „Vorpremiere“.
Günter Sommer, der in Anlehnung an den Louis-Armstrong-Rhythmus-Mann Baby Dodds, meist „Baby“ genannt wird, brachte aus der sächsischen Hauptstadt noch Nanina Bauer mit. Sie betreibt zusammen mit ihrem Mann Peter die Filmproduktion „Studio Klarheit“. Spezialität dieser Firma sind „Menschengeschichten“ – und da hat Günter Sommer wahrlich viel zu bieten. So viel, dass eine Menge von Erlebnissen und Aktionen des musikalischen Kosmopoliten überhaupt nicht berücksichtigt werden konnten – beispielsweise seine feinfühligen und wirklich kommunikativen Kooperationen mit japanischen, italienischen oder brasilianischen Musikern.
Im Film wird bewusst auf Erklärungen und Kommentare aus dem „Off“ verzichtet. Günter – jetzt ohne Anführungszeichen – Baby Sommer spricht für sich selbst, und dies tut der Sachse sehr gut. „Zunehmend wurde er lockerer. Am Anfang war es ein Film über Günter Baby Sommer, am Schluss ein Film mit Baby Sommer!“, freut sich Nanina Bauer, die als Kamerafrau mitwirkte. Da lernt man Sommer als glänzenden Stimmenimitator kennen, wie er seine drei Kollegen vom „Zentralquartett“ verulkt – und sich dabei auch selbst auf die Schippe nimmt. Die aufmüpfigen Vier des DDR-Jazz fanden sich vor genau 40 Jahren zusammen und geben in Hall am 23. November ein Abschiedskonzert. Senior der Gruppe ist Saxophonist Luten Petrowsky (80), und auch Posaunist Conny Bauer und Pianist Uli Gumpert (mit 68 der Benjamin) galten im real-sozialistischen Jazzleben als avantgardistische Protagonisten ihrer Instrumente. Am gleichen Tag tritt der 70-Jährige in der Hospitalkirche zuvor mit seiner Flöte blasenden Ehefrau Katharina Hilpert auf. Auch sie kam zur sogenannten Vorpremiere nach Hall mit.
Die Wirrnisse mit Stasi und Co. werden in dem 90-minütigen Streifen nicht ausgeklammert, aber das systemüberschreitende Musizieren der improvisierten Art dominiert darin. Musikprofessor Sommer erklärt im Filmoriginalton selbstbewusst, wie er das Schlagzeug emanzipiert und dieses aus „der zweiten Reihe nach vorn geholt“ habe. Auch mit dem Schlagzeug könne man ein Solokonzert geben – seine „Hörmusik“ führte der mit einem für den kapitalistischen Westen gültigen Reisepass gesegnete Ostdeutsche 1980 in der Westberliner Philharmonie hinter textilen Vorhängen auf, wobei den Sender-Freies-Berlin-Fernsehkameras wenig optische Ausbeute vergönnt war, aber das Publikum sich auf das reine feine Lauschen konzentrieren konnte. Schon damals hatte er ein reichhaltiges Arsenal von teils unorthodoxen Klangerzeugern aufgereiht: Gesammeltes und Selbstgebasteltes sowie Pauken. Röhrenglocken und ein riesiges Tamtam.
Als Günter Sommer 2008 in Kommeno konzertierte, erfuhr er, dass in diesem kleinen griechischen Dorf die deutsche Wehrmacht 317 Menschen bestialisch abgeschlachtet hatte – am 16. August 1943, exakt neun Tage, bevor er selbst das Licht der Welt erblickte. „Alles was ich geben kann, ist Musik“, sagte sich der schockierte Künstler und komponierte die „Songs for Kommeno“. Die durch Zufall Überlebenden seien dort immer noch schwer traumatisiert und schilderten die furchtbaren Geschehnisse, als seien diese erst gestern passiert, berichtet Sommer seinen Freunden in Schwäbisch Hall.
Maria Labri entkam dem Massenmord nur dadurch, weil sie sich zur fraglichen Zeit im Nachbardorf aufhielt. Bei einem im Film dokumentierten Wiedersehen richtet Baby Sommer von seiner Mutter schöne Grüße aus, diese sei 90 Jahre alt. Die Antwort der alten Griechin: „Meiner Mutter wurde mit 35 in den Kopf geschossen. Von einem Deutschen!“. Sommer erinnert sich jetzt: „Da konnte ich nichts mehr sagen, ihren Blick musste ich aushalten.“
Immerhin wurde der Perkussionsmeister aus Deutschland alsbald vom Bürgermeister als ehrlicher und guter Mensch erkannt und ihm sogar die Ehrenbürgerwürde Kommenos verliehen. Bei der dortigen Uraufführung seines Werkes machte dann doch die 80-jährige in Schwarz gekleidete Maria Labri mit und schildert in einem dramatischen und zu Herzen gehenden Lamento den unvergesslichen Tag des Schreckens: „Die Deutschen kamen im Morgengrauen, um ganz Kommeno zu vernichten…“.
Wenn die „Songs for Kommeno“ am 22. November 2013 in Hall erklingen, wird Maria Labri persönlich nicht dabei sein können, der geschundenen Greisin ergreifender Klagegesang wird daher von einer CD eingespielt. Aber die anderen griechischen Musiker agieren auf der Bühne unter den Aposteln und Barockengeln vokal und instrumental: Savina Yannatou, Floros Floridis, Evgenios Voulgaris und Spilios Kastanis.
„Das also war der Film über das Leben von Baby Sommer“, meinte Organisator Dietmar Winter nach der herzlich beklatschten Filmvorführung. „Noch bin ich ja da“, erwiderte unter vielen Lachern flugs sein vitaler Freund aus Dresden.
Erleben kann man ein garantiert abwechslungsreiches Wochenende mit Günter Baby Sommer vom 21. bis 23.11.2013 in der Hospitalkirche. Im benachbarten Goethe-Institut präsentiert sich die Doppelbegabung Sommer als Zeichner und Maler, außerdem sind dort Fotos und Plattencover des Schlagzeugers zu sehen.
Hans Kumpf
Info über „Songs for Kommeno“ im Internet: www.nmz.de/artikel/was-ich-geben-kann-ist-musik
Hinweis zum Schwarzweiß-Foto oben: Dieses von Hans Kumpf 1980 in der Berliner Philharmonie aufgenommene Bild von Sommers „Hörmusik“ ist auch im Film zu sehen. Baby beim Entgegennehmen vom Applaus des Publikums.