Text und Photos: Hans Kumpf
Von der Clubbühne bis zur Megamassenveranstaltung
Jazz in Reinkultur – dies ist bekanntlich nicht die Sache vom Stuttgarter Sommerfestival „Jazzopen“. Wenn man den freiluftigen Ehrenhof des Stuttgarter Neuen Schlosses mit fünfeinhalbtausend Leuten füllen will, dann müssen schon populäre Stars als Lockvögel ran.
Bestens geklappt hat dies am Finalsonntag, dem 12. Juli, mit Jamie Cullum. Der 35-Jährige schlug zunächst kräftig auf die Trommeln ein, turnte hyperaktiv am und auf dem Flügel herum, schwebte vom Podium zum Publikum hernieder und verzauberte die Fans mit seiner sonoren Tenorstimme. Ein wirklicher Wirbelwind mit Jazz-Knowhow (das er übrigens als Moderator von BBC-Sendungen meisterlich auskostet) und mit Sinn für Spannungsbögen. Im Vorjahr präsentierte sich der Engländer in der baden-württembergischen Landeshauptstadt mit Combo und natürlichem Regenbogen, heuer rückte er mit eigener schön swingender Big Band samt fetzender Solisten an und ließ sich die Stimmung durch ein paar Regentropfen nicht vermiesen.
Lieblich und niedlich erschien dagegen zuvor die blonde Australierin Sarah McKenzie mit mädchenhaftem Gesang und gefälligem Klavierspiel – sie träumte u.a. von Henry Mancinis „Moon River“. Gut für einen Nachtclub, aber nicht unbedingt für ein Open-Air.
Lange im Voraus ausverkauft war das Schlossplatzareal am Vortag. Zaz alias Isabelle Geffroy war wieder angesagt. Die Performance der stilübergreifenden Chansonniere zwei Jahre zuvor war in Stuttgart noch in bester Erinnerung. Ausgereifter und jazziger agierte nun die quirlige Französin, und sie brachte formidable Instrumentalsolisten mit. Der ehemaligen Straßenmusikerin wurden jetzt jazzorchestrale Ehren zuteil, als die SWR Big Band einstieg. Karl Farrent, der 1991 Farrent geschäftsführender Gesellschafter dieser Formation wurde, meinte nach dieser Kooperation: „Mit Zaz verbinde ich neben großer Musikalität vor allem pure, fast überbordende Lebensfreude und Lebenslust.“
Einen „Support“ erhielt am selben Abend ein hoffungsvolles Wunderkind made in the USA, nämlich Emily Bear, geboren am 30. August 2001 in Rockford, Illinois. Blechbläserisch unterstützt wurde der Teenager von Karl Farrent auf dem Flügelhorn. Der aus England stammende Spitzentrompeter war bass erstaunt: „Die Erfahrung mit einem so besonderen Talent zusammen zu arbeiten, wie die erst 13-jährige Emily Bear es sowohl in kompositorischer wie in pianistischer Hinsicht darstellt, ist für mich tatsächlich etwas Einmaliges.“
Nicht nur Brass und Reeds hatte nunmehr Gregory Porter dabei, sondern auch noch einen mächtigen Streicherapparat. Noble Geigenklänge einmal nicht aus dem String-Synthesizer. Der Afroamerikaner brachte das niederländische „Metropole Orkest“ mit und interpretierte vor diesem gigantischen Klangkörper auch seinen vertrauten Hit „Liquid Spirit“. Als vehementer Improvisator tat sich der bekannte Jazzgitarrist Peter Tiehuis hervor. Und erwartungsgemäß kam es auch zu einem Duett mit Dianne Reeves. Sie war – furios scattend – der „Opener“ des Doppelkonzerts. Die gemeinsame Nummer: „Grandma‘s Hand“ von Bill Withers.
Die Jazzopen in Stuttgart sind mittlerweile zu einem monströsen Festival angewachsen. Summa summarum 27 000 Besucher. “Ein Rekord“, frohlockte Jürgen Schlensog vom Veranstalter „Opus“. An zehn Tagen fanden geradezu unzählige Konzerte statt, oft zeitlich parallel und an relativ weit entfernten „Locations“.
Als kleinere Open-Air-Bühne diente wieder das heimelige Amphitheater vom Mercedes-Benz-Museum. Da konnte man den zwischen cooler Attitüde und freejazzigen Ausflügen wandelnden Altsaxophonisten Joshua Redman erleben oder den vitalen Ex-Miles-Davis-Bassgitarristen Marcus Miller. Aber auch die angejazzte Hitparadensängerin Caro Emerald („A Night Like This“) fand ihr Publikum, während Möchtegern-Weltsozialwohltäter und „Boomtown Rats“-Rocker Bob Geldof sich dort nicht unter einem guten Stern wähnte und keineswegs gentleman-like bekannte: „I hate fucking jazz!“.
Als Veranstaltungsraum für direkte Festivalkonzerte kam die ehemalige Schalterhalle des Hauptsponsors SpardaBank hinzu. Brad Mehldau und David Sanborn spielten dort in konzentrierter Atmosphäre.
Architektonisch und akustisch weniger exzellent erschien der Veranstaltungsraum vom Kunstmuseum am Schlossplatz. Am 10. Oktober startet dort die fünfmonatige Ausstellung „I Got Rhythm – Kunst und Jazz seit 1920“, und als hörbaren Auftakt griff in dem avantgardistischen Kulturtempel Professor Mini Schulz an zwei Tagen in die Kontrabasssaiten. Zuerst im Trio mit dem Fagottisten Libor Sima (der seine Jazzkarriere einst als Tenorsaxophonist im Jugendjazzorchester Baden-Württemberg begann) sowie dem Schlagwerker Obi Jenne, dann bei einer Matinee zusammen mit dem Stuttgarter Kammerorchester. Zur Aufführung gelangten Johann Sebastian Bachs edle Goldberg-Variationen in einer improvisationserweiternden Version.
Mini Schulz, nebenbei noch ehrenamtlicher Vizepräsident des in Karlsruhe ansässigen Landesmusikrats, verantwortet künstlerisch den Jazzclub „BIX“, der zum Festival traditionell mit vormitternächtlichen Events aufwartete. Dort standen arrivierte Künstler wie Lizz Wright auf dem Programm oder auch Überraschungen wie der in New York lebende Dana Leong, welcher sowohl Cello als auch Posaune traktiert. Seine „schwäbische Karriere“ hatte Ex-Footballer Gregory Porter übrigens in dieser Erdgeschosslokalität des Gustav-Sigle-(Konzert-) Hauses gegenüber der altstädtischen Leonhardskirche begonnen, ehe er 2014 zum „Daimler“ („Das Beste oder nichts“) nach Cannstatt aufstieg.
Nicht nur die weltweit arrivierten Superstars, auch die Newcomers aus dem Ländle kommen bei den Jazzopen zum Zug. Dafür gibt es den „Playground Baden-Württemberg“. Manchmal mag es etwas unausgegoren tönen, aber Julia Ehninger wartete mit solidem Jazz auf. Die 27-jährige Vokalistin konstatierte beglückt: „Der Auftritt hat uns allen sehr großen Spaß gemacht. Es war wirklich toll, bei perfektem Wetter vor einem so aufmerksamen Publikum zu spielen!“
Am Samstag, 25. Juli, gibt es drei Stunden lang „Jazzopen Stuttgart 2015“ im TV. Das Südwest-Fernsehen zeigt ab 23.05 Uhr vor allem Konzertausschnitte von Zaz und Jamie Cullum. Die Moderatoren und Experten sind Günter Schneidewind, Nicole Köster, Pierre M. Krause und Max Mutzke.