Akut Festival #18 2015

Ja, ich staune auch nach Jahrzehnten Beobachtung der Jazzszene immer noch, wie oft gerade mal eine Handvoll Jazz-Verrückter – in diesem Fall vom Mainzer Verein Upart e.V. – über Jahre für ihre Musik arbeiten und in diesem Fall mit dem Akut Festival in der 18. Ausgabe eine Heimat für Jazz der ausgefalleneren Art schaffen. Die 18. Ausgabe – kontinuierliche Arbeit seit dem letzen Jahrtausend, mit ein paar Atempausen zwischendrin. Es hätten 30 Menschen mehr sein dürfen, im Mainzer Frankfurter Hof aber die Reihen waren besser gefüllt als im Vorjahr und wenn das die Tendenz ist, dann darf man in zwei, drei Jahren auf ein volles Haus hoffen. Das Programm verdient es allemal. In diesem Jahr war es stringenter auf zeitgenössischen, zumindest „offenen“ Jazz, ohne große Rücksicht auf „ungeübte“ Jazzhörer programmiert. Das schärft das Profil und lockt Besucher weit über Mainz hinaus an und verhindert gleichzeitig allzu große Hörerscharen.

Eve Risser war ein wunderbarer Einstieg. Zunächst solo am Bechstein Flügel und „am Flügel“ heißt in diesem Fall weniger die Arbeit mit den schwarz-weißen Tasten als vielmehr die Tätigeit im Inneren des Instrument. Dort sind reichlich kleine Accessoires von Glaskugeln bis Pergamentpapier zu finden und geheimnisvolle elektrische Kleingeräte mit denen die Pianistin subtile Klänge erzeugt, freie Geräusche aus dem Bauch des Pianos, Klangminiaturen aus einer musikalischen Zwischenwelt. Ergänzt im Duo mit Michael Zerang – auch er, nur an einer Trommel, das Fell ganz untraditionell bearbeitend, mit Schieben und Schaben Klänge erzeugend und damit das Klanggebäude von Eve Risser ergänzend. Ein Duo mit Potential und Vorfreude auf Eve Rissers Solo-Auftritt (und Workshop) bei Just Music auf der anderen Rheinseite in Wiesbaden im Februar 2016.

Michael Zerang dann auch der schlagzeugspielende Mittelpunkt von „Michael Zerang & The Blue Lights“. Mit interessanten Kompositionen des Schlagzeugers, oft getrieben von Kent Kesslers starken Bassthemen und geprägt von „eastern sounds“.  Für hartgesottene Free Jazz Freunde wurde das schon fast ein wenig gefällig aber auch die waren rasch versöhnt, wenn die Bläsersektion mit John Dikeman und Dave Rempis an den Saxophonen und Emil Strandberg an der Trompete in ausgelassenen freien Passagen jammte.

Und Brötzmann mit Full Blast. Wenn er – mit unverwechselbarer Optik – auf die Bühne kommt, im Handwerkerkittel, mit dem Bart der Unverwechselbarkeit, dann ist er mit seinem Tenorsaxophon nicht der Rattenfänger von Mainz, er ist der „Rattenvertreiber“ und schafft das erstaunlicherweise nur mit zwei, drei Leutchen aus dem Publikum. Die verpassen nach gewohnt fulminantem „wall of sound“ die ruhigen Zwischentöne auf der Klarinette genauso wie die weiteren eruptiven Schlagzeug-Ausbrüche von Michael Wertmüller und die freie Bassbasis von Marino Pliakas. Die ruhigeren Passagen hört man in jedem Brötzmannkonzert und wenn man sich an die im Vorfeld nicht erinnert, dann ist man eher ein Opfer des selbstinduzierten Brötzmann-Berserker-Mythos, der dem Mann nicht gerecht wird. Federleichte Soli hat man von ihm noch nie gehört, wird man von ihm nie hören, will es auch gar nicht und spielen wird er sie auch nicht wollen. Passt schon und wegen Ehrlichkeit, eigenständigem Stil und sauberem Durchputzen der Zuhörerohren: Höhepunkt des Festivals.

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