Trompeter Markus Stockhausen und Pianist Florian Weber ließen in Schwäbisch Halls Hospitalkirche stilübergreifende Kammermusik erklingen
Vater Karlheinz Stockhausen galt – zumindest in den 1950er Jahren – als akribischer Avantgardist, der mit der seriellen Kompositionstechnik der althergebrachten Tonalität abschwor und auch die elektronische Musik revolutionierte. Gegen Ende seines Lebens (1928-2007) fand er, wie zuvor schon der Zwölftonpionier Arnold Schönberg, zum allgemeinen Wohlklang zurück. Filius Markus ist inzwischen 60 Jahre alt und hat sich längst nicht nur auf der internationalen Jazzszene mit einem sehr eigenständigen Oeuvre profiliert. Das klassische Knowhow beherrscht der Trompeter – wie sein zwanzig Jahre jüngerer Duo-Partner Florian Weber am Flügel – bestens.
In einem vom Haller Jazzclub und dem Kulturbüro gemeinsam durchgeführten Abend demonstrierten die beiden Akustiker, dass konventionelle Tonalität und neutönerische Attacken durchaus kompatibel sein können. Über hundert Zuhörer zog dieses doch in sich stimmige Musizieren ohne Mikrofone, Verstärker und Lautsprecherboxen sofort in Bann. Wohltemperierte Funktionsharmonik wurde nicht verpönt, liebliche Melodien waren keine Seltenheit.
Die zwei erfahrenen Instrumentalisten waren konzentriert bei der Sache, obgleich Florian Weber wegen nervender Staus auf der Autobahn erst zehn Minuten vor dem eigentlichen Konzertbeginn in der Hospitalkirche eintraf. So begab sich der geborene Detmolder nach einer kurzen Verschnaufpause total „uneingespielt“ an den edlen Steinway – auf den Einsatz der ihm unbekannten kleinen Orgel im ehemaligen Gotteshaus musste er zwangsläufig verzichten. Der talentierte Tastenmann konnte also nicht alle seine Register ziehen…
Pianist Florian Weber, keineswegs zu verwechseln mit dem gleichnamigen Rocker oder dem TV-Moderator, kreiert gerne ostinate Figuren, tupft auch fein die Tasten an und lässt dezidiert im hohen Diskant spitze Klänge glitzern. Wie auf der ECM-CD „Alba“ bildeten auch bei der „live“-Performance in Schwäbisch Hall ausgeklügelte Eigenkompositionen den Rahmen für interaktive Improvisationen.
„Mondtraum“ nennt sich beispielsweise ein ruhiges Stück, in dem sozusagen Beethovens Sonate (durch)scheint. Wohlklang und Sehnsucht allenthalben, Florian Weber schafft ein stetes Kontinuum, und Markus Stockhausen bläst mit seinem abgegriffenen Messing-Flügelhorn in den schwarzen Flügel hinein und hört den durch die frei mitschwingenden Saiten erzeugten Obertönen nach.
Recht stürmisch geht es bei der „Befreiung“ zu. In das eigentlich „weiche“ Flügelhorn stößt der strahlende Bläser messerscharf und mit spitzer Attacke – nichts von lauwarmer Luft. Jazzig zackig als auch folkloristisch geht es zu, Weber lässt die Bässe grollen, Stockhausen brilliert mit flinker Flatterzunge und bringt händeklatschend eine perkussive Beigabe ein. Fast so wie beim Flamenco.
Nicht nur bei diesem Titel erwies sich der Kölner als versierter Techniker. Er phrasiert und artikuliert überaus präzise, zeigt sich lippenstark und in den Höhen ausdauernd. Von Schludrigkeit keine Spur. Überhaupt: „Panta rhei“ – alles ist im Fluss, Punktuelles und Pausen werden ausgespart.
Als eine der Zugaben wurde „Jahoo Refrain“ intoniert, der neben geraden Metren auch schräge 7/8-Takte enthält. Hier griff Stockhausen schlussendlich zu seiner vierventiligen Piccolotrompete, die im Volksmund fälschlicherweise auch Bach-Trompete genannt wird. Aber etwas anders als im 2. Brandenburgischen Konzert respektive Weihnachtsoratorium oder im Beatles-Hit „Penny Lane“ erschallte das kleine Instrument bei Markus Stockhausen kraftstrotzend – ohne an Sensibilität einzubüßen. Das Duo unter dem Motto „Inside out“ bescherte einen unvergesslichen Event der bemerkenswerten „Jazztime“-Reihe.
Text und Fotografie von Hans Kumpf – Kumpfs Kolumnen