Mit seinem bewährten Soloprogramm „Blues & Boogie“ gastierte der Pianist Thomas Scheytt erneut in Schwäbisch Hall
Unter eigener Veranstalterregie präsentierte sich wieder der 1960 in Murrhardt geborene Thomas Scheytt in der Hospitalkirche, wo er sich längst über die Kreisgrenzen hinaus eine treue Fangemeinde geschaffen hat. Problemlose Musik, trotzdem letzten Endes künstlerisch und handwerklich hochwertig. Kein schelmisches Grinsen ins doch aufmerksam lauschende Auditorium, dagegen bei geschlossenen Augen geradezu ein traumhaftes Musizieren.
Gerne lässt der versierte Tastenmann aus einer Plattenrezension zitieren, die Andreas Geyer einst 1999 im Februar-Heft der Fachzeitschrift „Jazz Podium“ veröffentlichte: „Scheytt verbindet in seinem Spiel hohes pianistisches Können mit einer unglaublichen, tiefempfundenen Ausdrucksvielfalt. Im Gegensatz zu vielen Boogie-Pianisten, die mit besonders schnellen Stücken überzeugen wollen, zeigt Thomas Scheytt gerade in langsamen Blues-Stücken eine ausgereifte Spielkultur.“ Auch mehr als zwei Jahrzehnte später trifft diese Aussage zu. Und den wegen Corona nun distanziert im Saal sitzenden über einem halben Hundert Besuchern wurde es in den knappen zwei Stunden am frühen Abend nie langweilig.
Symptomatische Ostinati und Riffs allenthalben, aber nicht ohne spannungsreiche Variationen. Bei den tiefgründigen Bassfiguren eine starke Linke, und rechtsextrem Zartmelodisches hochgradig im Diskant. Nicht nur mit den beiden Händen agiert Thomas Scheytt fulminant, das rhythmische Feuer greift unwillkürlich auch auf seine Beine über. Und im Publikum sieht man so manche Fußspitze mitwippen. Dabei verharrt der Alleinunterhalter nicht in einem starren Metrum, Scheytt gönnt sich auf dem noblen Steinway-Flügel agogische Freiheiten und lässt die Musik atmen. Tremoli sorgen gerne für clever hingesetzte hymnische Intensität – diesen Kniff hatte einst der aus Kanada stammende schwarze Riese Oscar Peterson erst recht heraus.
Die Klavierspezialität „Boogie-Woogie“ basiert ja auf dem zwölftaktigen Blues-Harmonie-Schema, welches später ja noch zum fundamentalen Baustein vom Rock’n’Roll wurde – höre „Rock around the Clock“ von Bill Haley. Zuvor hatte diese swingende Tanzmusik jazzorchestral ja bereits der Vibraphonist Lionel Hampton vereinnahmt. Dramatischer Höhepunkt der gängigen Akkordfolge bleibt jeweils der Takt neun mit der Dominante, die traditionsgemäß auf die beiden vorangegangen vier fragenden Takte eine musikalische Antwort beschert.
Thomas Scheytt konzentriert sich mit den 88 Tasten weitgehend auf Boogie-Woogie, und da bezieht er sich auf dezidiert auf den Chicagoer Boogie-Pionier Meade Lux Lewis (1905-1964). Aber auch der unvergessene Stuttgarter Oldtime-Verfechter Hans-Jürgen Bock, der Ragtimes wie ein „Specht“ (so dessen Spitzname) in die Klaviatur hackte, blieb beim Haller Konzert nicht unerwähnt.
Als Lied ohne Worte und dem ansonsten allgegenwärtigen Blues-Schema abhold zelebrierte Scheytt die durch Ray Charles weltweit populär gewordene Ballade „Georgia on my Mind“ und gestaltete diese interessant aus. Ein bisschen Soul (und Gospel) darf sein. Auch mit eigenen Kompositionen vermag der seit 40 Jahren im badischen Freiburg glücklich lebende Scheytt zu überzeugen. Der Breisgau-Metropole widmete er den auf seine Wohnadresse Blumenstraße 14 Bezug nehmenden „Flower Street Express“, während sich hinter der – nach einem Politpfarrer benannten – „Hansjakobstraße 110“ eine dortige Pizzeria verbirgt. Und musikantisch unterwegs auf Schienen ist der Wahlbadenser mit der nahen Höllentalbahn – eine Schwarzwaldfahrt der anderen Art, die eher nach New Orleans klingt.