Evan Parker, Barry Guy und Paul Lytton vereint mit Steckdosenmusikkollegen
DONAUESCHINGEN. „Wir haben uns nach den Pfiffen vom Vorjahr nicht entmutigen lassen“, bekannte in seiner Ansage trotzig SWR-Jazz-Chef Reinhard Kager und präsentierte bei der obligatorischen „Jazz Session“ der Donaueschinger Musiktage erneut von jeglichem Jazzidiom befreite Elektronik – aber auch (mit dem unermüdlichen Evan Parker) eigentlich konventionelle Instrumentalmusik, die freilich klangästhetisch eine „harmonische“ Überlappung zur aktuellen Steckdosenmusik der digitalen Art schaffte.
Seit Jahrzehnten schon denkt und spielt der 1944 geborene Evan Parker offensichtlich in den Kategorien Elektronischer Musik, wenn er auf dem Sopran- und Tenorsaxofon die Sound-Ereignisse in die einzelnen Parameter aufsplittet und intensiv den Obertonreichtum auslotet. Eine Musik unmittelbar „von Hand“ gemacht, mit menschlichem Atem und Schweiß, ohne technokratische Leere verliert ihre Wirkung auch heutzutage nicht. Der Engländer nannte sein für in Donaueschingen geliefertes Werk „SET for Lynn Margulis“, wobei die notenblattlose „Komposition“ doch von den beherzten Improvisationen der einzelnen Mitwirkenden lebte.
Saxofonist Parker selbst wechselte zwischen „multiphonics“, Schnalzlauten sowie Impulsklängen und blastechnisch verblüffenden „sheets of sounds“ in minutenlanger Zirkularatmung – mehr als nur eine einzige Melodielinie. Mit erstaunlicher Virtuosität und immensem Körperseinsatz zauberte Barry Guy aus seinem fünfsaitigen Kontrabass die vielfältigsten Sounds heraus – gestrichen, gezupft, geschlagen und gekratzt. Barry Guy gastierte in Donaueschingen samt Parker und dem Drummer Paul Lytton bereits 1972 in Donaueschingen unter dem Motto „London Music Now“. 1977 gar führte Guy mit dem seriösen Südwestfunksinfonieorchester unter Leitung von Ernest Bour sein Opus „EOS für Kontrabaß und Orchester“ auf. Jetzt aber entpuppte sich der nunmehr 56-Jährige als wahres Energiebündel. Nicht minder unkonventionell agierte der bewährte Free-Jazzer Paul Lytton am Schlagzeug.
Kein Bruch dann zwischen den Akustikern und den Elektronikern. Apple-Notebooks zur digitalen Kontrolle der Samples und digitalen Klangerzeugern ist auch hier ein Muss. Und voller Freude vernahm man, dass unter den fünf Computer-Menschen doch auch körperliche Arbeit zu sehen, zu spüren und zu hören war. Primär tat sich da Richard Barrett vom integrierten „Duo Furt“ hervor.
Ein Manko bleibt freilich, dass das Publikum meist die genauen Handgriffe der Elektro-Freaks kaum sehen und interpretieren kann. So war es widersinnig, den Österreicher Christian Fennesz und seinen französischen Kollegen mit dem Künstlernamen „erikm“ auf die Bühne zu postieren und quasi hinter Sichtblenden zu verstecken. Wenigstens hier wären über die Schulter schauende Videokameras samt Großprojektionen angebracht gewesen. Ansonsten standen die zwei Herren in stoischer Ruhe da, würdigten sich über eine halbe Stunde lang keines interaktiven und kommunizierenden Blickes, und nie huschte etwa ein Lächeln über die Gesichter der Beiden… Während „erikm“ besonders kratzende und brutzelnde Dauergeräusche, also „dirty tones“, fabrizierte, war Fennesz eher zuständig für die reinlichen Töne. Ein langer, breiiger Wulst – ohne „swing“, „drive“ oder nur „pulse“. Aber auf derart althergebrachte Jazz-Definitionen pfeift ja der weltoffene Dr. Reinhard Kager, den in erster Linie die improvisierte Musik an sich interessiert. Immerhin fügte sich so die „SWR NOW Jazz Session“, die in der Sporthalle der Gewerblichen Schule stattfand, in das Gesamtkonzept der Musiktage gut ein. In der Vergangenheit war schließlich mitunter regelrechtes Kopfschütteln über einen „reaktionären“ Jazz in Donaueschingen zu konstatieren.
Jazzige Anklänge waren allerdings nicht nur beim eigentlichen Jazzkonzert zu vernehmen. Einen brutalst-möglichen Free-Jazz kreierte da der 1951 in Tel Aviv geborene und nun in Schweden lebende Komponist Dror Feiler unter dem Titel „Point Blank“. Eine Lärmorgie größten Ausmaßes, bei der die Geigerinnen vom „Klangforum Wien“ unter gingen und vom röhrenden Kontrabasssaxofon und vom wilden Sopranino des improvisationsfreudigen Komponisten auch mehr zu sehen als zu hören war. Da lobt man sich doch einen Brötzmann als Ausgeburt von musikalischer Differenziertheit!
Der Engländer James Clarke baute in seinem kammermusikalischen „Final Dance“ für die Bassklarinette und die Posaune typische Jazzphrasen ein, ähnlich verfuhr der Portugiese Emmanuel Nunes bei seiner großorchestralen „Nachtmusik II“.