Die Welt der Billie Holiday ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Jazz-Ikone, die den Blues nicht nur unnachahmlich interpretierte, sondern auch selbstzerstörerisch konsequent lebte. Billie Holiday besaß eine unverwechselbare Stimme. Obwohl sie keine musikalische Ausbildung hatte und nur über einen begrenzten Stimmumfang verfügte, war sie eine außergewöhnliche Sängerin; zugleich herb und zerbrechlich, sowohl unterkühlt als auch leidenschaftlich. Ein Naturtalent entwickelt sich, aus Schmutz und Elend geboren, zu einer Künstlerin, die die Welt faszinierte. „Suff, Gefängnis, Prostitution“, so Rezitator Heinrich Heftrich, waren die eine Seite der Künstlerin, Pelze, Ruhm und Cadillacs die andere Seite.
Der „Abend mit Musik“ in der Nieder-Olmer Bücherei „BiNo“ beginnt mit einem ausgedehnten Solo des Keyboarders Wolfgang Thomas. Der Künstler kostet das Volumen des Instrumentes voll aus, improvisiert, legt die unterschiedlichen Metren fest. Heftrich zitiert aus der Autobiografie der Sängerin, rezitiert aber auch Sekundärliteratur etwa von Ted Joans, Langston Hughes, Jens Gerlach oder Rose Ausländer zur Illustration der Lebensgeschichte Billie Holidays. Seine Stimme nimmt gefangen, zieht die zahlreichen Zuhörer in Bann. Der Rezitator gestikuliert nicht, artikuliert sorgsam und textgerecht.
Sängerin Jill Gaylord widersteht der Versuchung ihr Vorbild zu imitieren. „Billie ist unerreichbar“, sagt sie. Aber die langhaarige, weißblonde Kehlkopfakrobatin jongliert mit ihrer Stimme ausdrucksstark. Sie moduliert und intoniert „Body and Soul“, „Our Love is here to stay“, das Spiritual „Nobody Knows“ oder mit feinen dynamischen Abstufungen „Good Morning Heartache“ sowie andere Songs der farbigen Lady. Heftrich zitiert Billie Holiday mit den Worten „Ich muss den Song nach meiner Vorstellung verändern“. Jill Gaylord tut das Gleiche auf ihre eigenständige Weise. „Strange Fruit“, Holidays persönlicher Protest, geriet auch bei ihr zu einem ausdruckstarken wie emotionalen Song – mit einer bitteren Stimmung, die dem depressiven Charakter des Liedes gerecht wird. Frank O´Haras „Der Tag als Lady starb“ untermalt Gaylord mit leisem Summen.
Es gibt im Jazz viele „adlige“ Musiker – von King Oliver, über Duke Ellington und Count Basie bis Earl Hines. Für Billie Holiday war aber der Tenorsaxophonist Lester Young der Größte. Sie nannte ihn „President“ oder kurz „Pres“. Mit ihm, der kurz vor ihr im Jahr 1959 starb, verband Billie Holiday eine enge Partnerschaft. Sie setzte ihre Stimme instrumental ein, sein luftiger und leicht dünner Ton passte vorzüglich zu ihrem Bluesfeeling. Holiday erzählt in ihrer Autobiografie von einer Puffmutter, die ihr Bessie Smith nahebrachte. Die ältere Billie Holiday und Lester Young seien ein Pol, der Gegenpol Bessie Smith und Coleman Hawkins, urteilten damals Kritiker.
Kompositionen Youngs sowie später am Abend vom frühen Miles Davis spielte Thomas vom Band ein. So näherten sich die drei Künstler in diesem Sprechkonzert dem Phänomen Billie Holiday mit Musik und Worten.
Das Leben von Billie Holiday wurde 1972 unter dem Titel „Lady Sings the Blues“ verfilmt. Die Hauptrolle spielte die amerikanische Soul-Sängerin Diana Ross, die für diese Darstellung für einen „Oscar“ als beste Schauspielerin nominiert wurde.
Als nächstes Projekt stehen Gedichte der amerikanischen Lyrikerin Rose Ausländer unter dem Titel „Wir leben in Babylon“ auf dem Programm von Jill Gaylord, Wolfgang Thomas und Heinrich Heftrich. Als Musik hat Wolfgang Thomas Kompositionen bekannter Jazzmusiker über New York ausgewählt.
Text und Fotografie von Klaus Mümpfer – Mümpfers Jazznotizen