Schlußveranstaltung der Esslinger Reihe „Klangseiten“

Esslingen – Furioser Abschluß der ambitionierten Esslinger Kulturreihe „Klangseiten“: David Moss vollführte in der Dieselstraße ein hochdramatisches Ein-Mann-Theater. Zuletzt trat der Allround-Artist dort Im November 1991 auf, übrigens im Duo mit dem ostdeutschen Gitarristen Joe Sachse. Der 1949 in New York geborene Moss, der in Amerika ausgiebig Schlagzeug, Komposition (bei Trompeter Bill Dixon) und auch russische Geschichte studiert hatte, war bereits längere Zeit der mitteleuropäischen Avantgarde-Szene verbunden, als er vor acht Jahren ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) erhielt und sich in Berlin niederließ. Damals meinte Moss. „Ich bin Performance-Künstler, Komponist und improvisierender Musiker. Ich möchte eine sehr persönliche Klangwelt schaffen, die den Zuhörer überrascht. Mich interessieren seltsame Klänge: ich verwende Trommeln, Becken, Plastiksäcke, Metall, elektronische Drums – eigentlich alles, womit sich Klänge erzeugen lassen. Dazu kommt meine Stimme.“

„Moss Tales“ heißt nun sein neues Programm, und David Moss präsentierte sich hier weniger als Instrumentalist denn als Geschichtenerzähler in eigener Sache: Vergnügliche Episoden und Anekdoten im deutsch-englischen Kauderwelsch, wobei die Grenzen zwischen klarer Semantik und lautmalerischer Phonetik fließend verliefen. Ein improvisatorisch selbst-erklärendes Gesprächskonzert mit Hörspielcharakter. Vom brummigen Bierbrauersbaß bis zum hellen Knabensopran spannte Moss seine Stimmbänder, die Ausdrucksskala umfaßte sowohl Rezitation als auch Opernkantilen.

Da berichtete der polyglotte Moss aus seinem aufregenden Künstlerleben – wie er im belgischen Gent ungefragt als „Freaky, Flappy, Flippy, Fun“ angekündigt wurde oder einen merkwürdigen Auftritt in einem japanischen Porno-Club absolvierte. Auf Sizilien unternahm er zusammen mit dem zwischenzeitlich verstorbenen DDR-Autor Heiner Müller den vergeblichen Versuch, mit dem ebenfalls auf der Insel weilenden Regisseur (und Dixieland-Klarinettisten) Woody Allen in Kontakt zu kommen. In Houston/Texas erblickte der anarchistische David Moss 1979 für zehn Sekunden den leibhaftigen Frank Sinatra, der im gleichen Hotel logierte – und hinterließ an der Rezeption für den Top-Entertainer eine LP mit der Widmung „Dear Frank, I hope you like my voice.“

Anfang der 90er Jahre wurde David Moss von dem (1996 an Herzkrebs verstorbenen) Pianisten Sergey Kuryokhin nach St. Petersburg zu einem Neutöner-Festival eingeladen. Den Aeroflot-Flug ergatterte sich Moss angeblich nur, weil er ein Gemälde von Robert Rauschenberg nach Rußland schmuggelte. Mit dem Paßwort „Kartina“ sei er unbeschadet durch den Zoll gekommen und habe das Pop-Art-Kunstwerk dem Oberbürgermeister überreichen dürfen. In der vormaligen Zarenstadt konnte der Amerikaner, dessen Vorfahren aus Bessarabien stammen, dann doch nur bei einem Ethnologen-Kongreß auftreten, wo ihn Kuryokhin als „afrikanischen Volksmusikforscher“ tarnte.

In seinem Instrumenten-Arsenal verfügt Moss tatsächlich über das afrikanische Daumenklavier „Mbira“; den glissandierenden Peking-Opern-Gong läßt er ebenfalls ertönen, ein Keyboard lieferte automatisiert synthetische Schlagzeug-Rhythmen, die live-Elektronik transformiert Stimme und sonstige Klangerzeuger. Als stetes Requisit dient bei David Moss eine Alufolie, die er theatralisch als Kunst-Dach über sein ausbreiten und nervig knistern lassen kann.

Der Aktionskünstler verweigert sich einem konventionellen Virtuosentum, als Perkussionist untermalte, ergänzte, imitierte und kommentierte Moss seine Vokalisen eher spartanisch. Die von der Stadtbücherei inszenierte Reihe „Klangseiten“ soll, wie Kulturbürgermeister Udo Goldmann betonte, im Jahre 2000 ihre vierte Ausgabe erleben. Also wieder interessante Wechselspiele und Synergieeffekte von Musik und Sprache.

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