Am 6. März 2003, dem Vorabend zu seinem 65. Geburtstag, wurde Professor Dieter Glawischnig in einer aufwändigen Veranstaltung von seiner ständigen Lehrtätigkeit an der Hamburger Musikhochschule verabschiedet. Der gebürtige Grazer fungierte von 1968 bis 1975 als Leiter der Abteilung Jazz der renommierten Musikhochschule seiner Heimatstadt, seit 1982 unterrichtete Glawischnig an der Musikhochschule Hamburg, nachdem er in der Hansestadt die Leitung der NDR Bigband übernommen hatte. Jazz in kleinen Besetzungen praktiziert(e) der umtriebige Künstler in den Gruppen Cercle und Neighbours. Noch vor seinem großen Fest beantwortete der Jubilar ausführlich Fragen von Hans Kumpf.
Du wirst 65 Jahre alt – wirst Du totaler Pensionär?
Na klar! Ich verkauf meinen Bösendorfer, verschenke alle meine CDs und alle Bücher, viele noch neuwertig, vernichte alle persönlichen Spuren und leg mich meditierend auf die faule Haut auf einer fernen Sonneninsel oder im Urwald, in Tibet oder in der Antarktis, und erwarte, als gelernter Agnostiker, das Himmelreich.
Natürlich net!
Die C4-Professur an der Hamburger Musikschule beendest Du ja mit einem großen Fest am 6. März. In der langen Glawischnig-Jazz-Nacht wirst Du Dich wieder mit Ernst Jandl befassen. Um was ging es Dir bei Deiner neuen Komposition „Jedes Ich Nackt“?
An der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Hamburg beende ich zwar offiziell meine Lehrtätigkeit im März 2003, werde aber im Sommersemester eingeschränkt weitermachen, mit einem ‚Seniorenvertrag‘, ‚Senior‘ immerhin eleganter als Pensionist oder Rentner. Meine Nachfolge wird dann wohl, hoffentlich, endgültig geregelt sein.
Der dritten Komposition für die NDR Bigband nach Texten meines geliebten Ernst Jandl liegen Gedichte aus seinem posthum veröffentlichten Band ‚Letzte Gedichte‘ zugrunde; überleitend sind Passagen aus seinem ’szenischen gedicht für beleuchter und tontechniker‘ eingebaut (eine dramaturgische Idee von Dietmar Mues, der als ‚voice‘ natürlich dabei ist, wie auch mein ständiger Cercle-Partner Andreas Schreiber), und als ‚versöhnlicher Abschluss‘ die Schlussszene von Jandls Sprechoper ‚Aus der Fremde‘. Es geht hart zur Sache, Schluss mit lustig!
Für diese Komposition hab ich mir als ’serielle Basis‘ ein Intervall-Konzept ausgedacht, schon früher, aber nicht mit der vorliegenden Konsequenz verwendet, von dem alle motivisch-melodischen und vertikal-harmonischen Ereignisse abgeleitet sind, und das auch die Solisten unserer Band als ‚Materialgrundlage‘ animiert hat. Und wieder geht es mir um das starke Medium des Jazz und der improvised music als Transportmittel für Texte, ‚Botschaften‘. Intendiert ist Integration der Ausdrucksmittel beider Bereiche, nicht ein beziehungsloses Nebeneinander von Jazz & Lyrik, wie in seinerzeitigen, allerdings auch anregenden frühen Versuchen anderer. Der Sprecher ist gleichwertiger Solist im Orchester, die Spieler interagieren gleichrangig (bravourös improvisierend) mit dem Sprecher.
Beim Konzert am 6. März, Geburtstag unseres Fan-Präsidenten Hermann Rauhe (meiner ist am 7.), das von der NDR-Jazzredaktion dokumentiert wird, ist auch das Jazzhaus Orchestra Hamburg dabei, ein Ensemble mit eigenem Profil bestehend aus unseren (Ex-)Studierenden. Ganz besonders freue ich mich, dass 9 ‚meiner‘ ehemaligen und derzeitigen Pianisten dabei sein werden – ich hoffe, sie sind nicht zu frustriert wegen der beschränkten Spielzeit von 15 Minuten; es soll ja ’nur‘ eine Visitenkarte unserer gemeinsamen Arbeit sein.
Darüber hinaus hat mein Kollege Peter Michael Hamel, Ligeti-Nachfolger und interdisziplinärer Agitator an unserer Hochschule, für diese seine nun schon vierte ‚Lange Nacht‘ ein riesiges ‚Zusatzprogramm‘ organisiert, ich weiß gar nicht genau was los sein wird, es sollen einige Überraschungen für mich dabei sein.
Für was willst Du Dir in Zukunft mehr Zeit nehmen?
Das Motto meines Abschiedskonzerts von der Hochschule lautet ja ‚Free Again‘, und meint, wieder mehr Zeit für Eigenes. Ich will wieder mehr üben und spielen (im ‚Cercle a Due‘ mit dem Wiener Geiger Andreas Schreiber und im Trio mit John Marshall, dr), und meine Arbeit mit Texten auch in dieser kleinen Gruppe mit Dietmar Mues fortsetzen (‚Ernst Jandl for ever‘ und viel anderes). Ideen für Orchester gibt’s auch, nicht nur mit Texten (obwohl ich derzeit als einschlägig Gebrandmarkter ‚Grimms Märchen‘ nach Janosch als Kompositionsauftrag des NDR/Neues Werk in Arbeit habe, natürlich wieder mit Dietmar und der NDR Bigband; vielleicht gelingt auch eine Bearbeitung von Jazzstandards, die sich gewaschen hat, so zumindest mein Fernplan.
Stapel von an- und (leider auch bisher) ungelesenen Büchern warten darauf, ihrem eigentlichen Zweck zugeführt zu werden. Und auf mehr freie Luft zum Atmen – der ganze organisatorische Kram an der Hochschule macht mich fertig – als baldiger Nichtraucher (ääährlich) und auf mehr Zeit für meine Großfamilie freue ich mich besonders!
Vergessen hätte ich fast: CDs möcht’ ich veröffentlichen, die bisher nur als Privatsache vorliegen, viele interessante Sachen darunter (Neighbours, Cercle), und die beiden alten Jandl-Hits (‚Laut und Luise’ und ‚Aus der Kürze des Lebens’) müssen wieder neu erscheinen, vielleicht zusammen mit dem neuen Stück ‚Jedes Ich Nackt’ als Trilogie.
Nicht genügend beachtet werden Deine musikanalytischen Fähigkeiten. Ich erinnere mich, wie fundiert und spitzfindig Du einmal bei einem Symposium in einem Diskussionsbeitrag den harmolodischen Orchesterkomponisten Ornette Coleman auseinander genommen hast. Sind von Dir zukünftig theoretische Beiträge zu erwarten?
In den letzten Jahren hab ich, obwohl musikwissenschaftlich interessiert und ausgebildet, aus Zeitnot (zwei offizielle Jobs) wenig schreiben können: immerhin zwei Beiträge für Darmstadt (zu einer meiner Jandl-Kompositionen und zu ‚Jazz und Komposition‘ anhand eigener Stücke, zentriert auf die Frage: was ist eigentlich ein Jazz-Komponist?), und einiges zur Pädagogik (‚The Present Boom of Jazz Education – a Trap for Creativity?‘, oder ‚Warum Jazz für Klassiker?‘ – damit hab ich bei der klassischen Fraktion und auch bei den hard core mainstreamern keine Freunde gewinnen können). Ich plane auch die Fortsetzung von analytischen ‚Mitteilungen aus der musikalischen Praxis‘ gemeinsam mit meinem Grazer Freund Andreas Fellinger, und auch endlich die Fertigstellung eines schon lange in Arbeit befindlichen Arrangierbuches. Ich hoffe, es wird was, sollten mit noch einige Jährchen gegeben sein.
Du hast Jazz in Graz seit 1965 gelehrt, 1985 hast Du an der Hamburger Musikhochschule eine Jazzabteilung gegründet. Lässt sich der Jazz pädagogisieren? Was meinst Du zu den jungen Musikern von heute? Wie ist die Relation zwischen Instrumentaltechnik und Persönlichkeit?
Kreativität und technisches Know-how sind für mich keine Gegensätze, ansonsten müsste man ja der Meinung sein, instrumentale und mentale Stümper wären besonders erfinderisch. Wenn sich das Know-how allerdings auf die ältere Jazztradition beschränkt, sagen wir mal grob bis 1960, und leider werden im Anschluss an die massiv auf Europa übergeschwappte amerikanische ‘Standard’-Jazzpädagogik oft nur derartige Muster, ohne die Qualität der Heroen, tradiert, so führt dies schon zu einer redundanten Bebop-ähnlichen, auch modalen straight ahead-auch 8tel- und 16tel-mainstream-Musik, die wohl nicht das Gelbe vom Ei sein kann, auch wenn’s noch so schön swingt und groovt. Ein ‘amtliches’ Einschustern ausschließlich auf diesen Ausdrucksleisten halte ich für eine ästhetische Straftat mit möglicherweise lebenslänglichen Folgen für die Opfer. Denn: Ignoranz war noch nie ein Bonus für künstlerische Betätigung (das gilt auch schon für die Täter). Das vielzitierte ‘geschichtliche Bewusstsein’, zu kennen und aufzuarbeiten, was schon erspielt wurde, der Blick ins Freie und auf das Andere bleiben im heutigen Revival-Klima allzu oft auf der Strecke.
In Absprache mit meinen Kollegen – fast alle Solisten der NDR-Band sind als Teilzeitprofessoren Lehrer an der Hochschule – habe ich das schon in Graz praktizierte ‘Zwei-Säulen-Modell’ angeregt, Stichwort ‘Jazz plus Klassik’. Der ‘europäische’ Anteil ist im Vergleich zu den anderen, mittlerweile schon sehr zahlreichen deutschen Jazzabteilungen relativ hoch, ’Pflicht’ sind z.B. Satzlehre, Gehörbildung, Formenlehre, erziehungswissenschaftliche und pädagogische Fächer im gleichen Umfang wie für die Klassiker, vor allem aber ein parallel laufender dreijähriger Instrumentalunterricht im Hauptfach; erweitertes Know-how also, gedacht als Verbreiterung der Überlebensbasis für ‘kreative Jazzer’. Probleme mit dem stofflichen Umfang dieses Konzepts haben nur gelegentliche ‘verspätete’ Studenten, die sich im ‘reiferen’ Alter zur Erlangung eines ‘Zettels’ entschließen, meist schon recht gut spielen, sich jedoch mit Klassik oder mit analytischen Fragen kaum beschäftigt haben, und die nun mit einem ganz anderen Ton- und Artikulations- Ideal oder mit der Analyse von Bach-Fugen oder Zwölftonstücken traktiert werden.
Mir ist allerdings völlig klar, dass musikalische Talente sich zu der ihnen möglichen Höchstform entwickeln können, ohne durch eine schulische Institution durchmarschiert zu sein, durch ein Lernen, so wie früher, ’on the road or on the bandstand’. Außerdem gibt es jede Menge von Literatur, und, viel wichtiger, jede Art und Menge von musikalischen Vorbildern und Anregungen auf LP und CD als die eigentlich wichtigen Lehrer, zum vorerst imitierenden Ab- und Nachkupfern. Andererseits spricht aber auch gar nichts dagegen, wenn Musiker, die (hoffentlich) mehr können und wissen, ihre individuellen Qualitäten an jüngere und begeisterte Menschen ‘in the classroom’ weitergeben. Und noch ein Aspekt der ganzen Sache: Mit dem ‘Eindringen’ von Jazz-Pädagogik in die Musikhochschulen wird unserer improvisierten Musik eine offizielle Anerkennung durch die ‘kulturtragende Elite’ zuteil, die sich letztlich auch günstig auf die Szene auswirkt.
Können die hochschulmäßig ausgebildeten Jazzmusiker genügend Geld verdienen?
Mit Auftrittsmöglichkeiten in Clubs, in Konzerten, auf Festivals und im Rundfunk schaut es auf dem Papier gar nicht so schlecht aus, man braucht ja nur in den Fachzeitschriften wie dem JP herumzublättern. Allerdings gibt es eben auch eine wachsende Anzahl von Gruppen mit, mindestens, gutem ‚mittleren‘ Niveau – ein Ergebnis der vielen Jazzausbildungsstätten an Musikhochschule? – , daher auch das leidige Gerangel um Gigs mit dem frustrierenden Hin und Her von Promotionzetteln, Demos und Telefonaten. Die Selektion durch die organisatorischen Macher richtet sich dabei zu oft nach dem vermeintlichen Publikumsgeschmack (‘Gewohntes vor Ungewohntem’), die durch finanziellen Erfolg selbst über die Runden zu kommen wollen und wohl auch müssen. Verständlicherweise setzen sie auch auf ‘Stars’, am liebsten von drüben. Dennoch glaube ich, dass, wie immer schon, Chancen für neue Gruppen mit einem eigenen künstlerischen Profil (oberhalb des Breitensports) bestehen, auch außerhalb der Spielstätten, die programmatisch auf eine ‘Avantgarde’ (was immer das heute ist) spezialisiert sind.
Wenn es mit der Jazz-Karriere vorerst nicht so richtig weitergehen sollte, so gibt’s auch Möglichkeiten, sich seine Brötchen vorübergehend in verschiedenen funktionalen Bereichen der U-Musik zu verdienen – vom ‘Klavier-Rubato’ und ‘Easy Swing’ im Hotel über kommerzielle Studio-Jobs und die Mitwirkung in der unvermeidlichen Musical-Szene (viele dieser billigen Machwerke sind auf Jahre ausverkauft!) bis hin zum fetzigen Rock in der Disco, oder auch, sicherlich ‘even more rewarding’, durch das Erteilen von Unterricht, privat oder innerhalb einer Institution. Unser Musiklehrer-Diplom in Hamburg hat einen kleinen Vorteil: Es befähigt und ‘berechtigt’ auch zu klassischem Unterricht, z.B. an staatlichen Musikschulen.
Wie geht es mit der NDR-Big Band weiter? Wie siehst Du allgemein die Zukunft von Jazzorchestern? Die Rundfunkanstalten sparen allenthalben, andererseits wird mit Produktionen von Robbie Williams, den No Angels und gar mit den vermeintlichen Superstars von RTL2 ein Big-Band-Revival suggeriert.
Die Zeichen stehen derzeit für uns günstig, obwohl eine Diskussion über die Klangkörper in den Rundfunkanstalten geradezu zyklisch immer wieder auftaucht. Intendant, Programmdirektor und der Manager der Klangkörper halten ihre schützende Hand über uns. Unsere Absichtserklärung seit den Tagen der NDR-Studioband – das war die Bezeichnung für das Radio-Tanz- und Unterhaltungsorchester (heute ‘Bigband’), wenn es Jazzkonzerte und -produktionen spielte – lautet immer noch: Bemühung um zeitgenössische Ausdrucksformen auf der Basis der Tradition der großen Vorbilder. Ich glaube, dass diese Formel unsere Arbeit akzeptabel und vertretbar macht, auch gegen den Widerstand der populistischen Quotenzähler im Hahnenkampf von Kunst und Kommerz zwischen den ‘Öffentlich-Rechtlichen’ und den ‘Privaten’.
Obwohl ich eigentlich nur zufällig bei der Bigband in Hamburg gelandet bin, muss ich sagen, dass es mich freut, als ‘primus inter pares’ mit Musikern zusammen zu arbeiten, die nicht nur im sogenannten ‘modern mainstream jazz’ in der Bebop-Nachfolge aller Spielarten zuhause sind, sondern sich immer wieder für interessante neue Projekte einsetzen, ein ‘Dreimal hoch’ auf den öffentlich-rechtlichen NDR, der seinen Kulturauftrag ernst nimmt. (Die ORF-Bigband in Wien z.B., mit Stars wie Art Farmer, Fritz Pauer, Jimmy Woody usw., in die ich vor vielen Jahren als Posaunist fast eingestiegen wäre, wurde von Programmgewaltigen, deren ‘Kunstverständnis’ über Austro-Pop nicht hinaus ging, ganz einfach wegrationalisiert).
Was unser Jazzredakteur, mein Freund Wolfgang Kunert, der mich als Unterstützung 1980 nach Hamburg geholt hat, immer schon geplant hat, ist nun auf ideale Weise ‚fullfilled‘: Eine Band aus Solisten (Vorbild Ellington) verschiedenster stilistischer Kompetenz. (Dass diese lange und wohl ausgesuchten Individuen auch als ‚Notisten‘ perfekt sind, war natürlich auch Anstellungserfordernis und versteht sich von selbst). Als Beleg können die zahlreichen CDs, auch mit publikumsträchtigen Stars gelten. Unsere NDR Bigband, derzeit mit etwa 50 bis 60 Konzerten im Jahr, vorrangig im Sendegebiet aber auch international präsent (N.Y., Chicago, Paris, Spanien, Portugal, England, Österreich), wird bestehen bleiben, als immer wieder apostrophiertes ‚Aushängeschild‘ des NDR und als Vorbild für weitere lokale Aktivitäten!
Was waren die wichtigsten Begegnungen in Deinem Jazzer-Leben ?
Im klassischen Bereich, der ja mit ‚meinem Jazzer-Leben‘ eng zusammen hängt, muss ich meinen verehrten Klavierlehrer in Graz nennen, Erich Rabensteiner, gestorben leider schon 1967. Er selbst ein Virtuose am Instrument, hat mich auf ein 1926 in erster Auflage erschienenes klavierpädagogisches Technikbuch von Erwin Johannes Bach (Musikwissenschaftler und Assistent von Neuhaus) aufmerksam gemacht: ‚Die vollendete Klaviertechnik‘, ein wie ich feststellen musste, den Fachkreisen völlig unbekanntes Meisterwerk an präziser Unterweisung, betreffend den gesamten Spielapparat der Klavierspieler (von der Schulter bis ins letzte Fingerglied). Meine Schüler, die, oft ‚im Jazz‘ schon recht gut fortgeschritten, bisher keinen ‚klassischen‘ Unterricht erhalten haben, zwinge ich, nein, ich überzeuge sie, sich dieser technischen Grundausbildung (einer Art von Basis-Gymnastik) zu unterziehen, wie ich mit Sicherheit weiß, mit Erfolg (vielleicht ist das mein wichtigster Beitrag zur Jazz-Pädagogik). Ich empfehle dieses Lehrwerk allen, die eine fundierte Technik erwerben wollen!
Meine Grazer ‚Neighbours’ Ewald Oberleitner und John Preininger waren eine ständige Inspirationsquelle, Albert, Schoof und Dudek haben mit uns gespielt und uns in den 70ern auf die Sprünge geholfen, wichtig war auch der Kontakt zur AACM (viele Konzerte, auch LPs mit Braxton, Fred Anderson und Bill Brimfield).
Als Jazz-’Lehrer’ war Herb Pomeroy von Einfluss, sein legendäres ‚Line Writing’ ist immer noch ein Fixpunkt in meinen Theoriekursen, mehr brauchen begabte und verständige JungjazzerInnen eigentlich nicht, um was Vernünftiges aufs Papier zu bringen, sofern sie das wollen. Lange Nächte mit Ekkehard Jost haben neue Ideen für musikwissenschaftliche Analyse und Praxis ergeben, Ernst Jandl, und leider nur für eine kurze Zeit Gunter Falk haben die Dinge der Welt ins subversive Licht gerückt. Andreas Schreiber, improvisierender Seelenbruder (‚Cercle a Due’) und Dietmar Mues mit seiner emotionalen und intellektuellen Kraft sind in den letzten Jahren meine ständigen ‚Spezis’ bei allen meinen Unternehmungen.
Was befriedigt Dich beim praktischen Musizieren mehr – Piano zu spielen oder eine Big Band zu leiten?
Die Leitung einer Bigband ist eine wunderschöne Sache, vor allem wenn alles funktioniert und nach intensiver Probenarbeit das herauskommt, was der Komponist oder Arrangeur in seiner Partitur festgelegt hat. Ich habe zwar Dirigieren gelernt, war auch mal Korrepetitor am Grazer Opernhaus, bin aber eigentlich nur zufällig in meine Funktion hineingerutscht, die aber (meist) auch Freude macht, bei dieser herrlichen Besetzung unserer NDR Bigband kein Wunder, vor allem auch mit ständig neuen herausfordernden Projekten. Am liebsten sitze ich aber doch am Klavier, beim ‚Gig’ mit gleichgesinnten Freunden, oder schreibe selbst was, wenn mich eine ‚fixe Idee’ wieder einmal nicht los lässt. Wenn das Konzept einmal klar ist, so ist das Niederschreiben für mich eher eine öde Angelegenheit, andere Kollegen haben sicher mehr Sitzfleisch.
Wer nur etwas von Musik versteht, hat auch davon keine Ahnung…. Du bist ein vielfältig (aus)gebildeter Mensch. Was hat Dir diese Art von Universalität in Deinem künstlerischen Leben gebracht?
Heute Universalität beanspruchen zu wollen, wäre vermessen. Trotzdem lese ich herum so viel ich kann, reine Fachidioten, gar nicht selten, waren mir immer suspekt. Es geht ja darum, ein bisschen was zu verstehen, um die 70 Jahre irgendwie herum zu kriegen (und wenn es lang währet, vielleicht 80), das ‚metaphysische Loch’ für sich selbst zu füllen, muss ja nicht mit Religion sein. Neben der selbstverständlichen Beschäftigung mit Fachliteratur, den Gesamtbereich der Musik betreffend, wird mir Literatur, Kunst, Philosophie und Politik (diese begeisternde lange Reihe zur Verbesserung des Erdenlebens, also Geschichtsverständnis usw.) immer wichtiger; einziges Problem dabei ist die bekannte Sache mit der ‚Ökonomie der Zeit’. Konkrete Gespräche mit und Texte von z.B. Thomas Ebermann und Günter Trampert, Günter Amendt oder Werner Heine beeinflussen meine tägliche Arbeit mehr als das Anhören so mancher hochgelobter CD’s. Kann Kunst die Welt verändern? Kaum, sonst sähe diese wohl anders aus, aber ein bisschen doch, odrrr?
Wie verbindest Du beim Musizieren Ratio und Emotionalität?
Beim Improvisieren empfinde ich eine ‚Einheit im Augenblick’, alles Erfahrene und Gelernte fließt in Kombinationen ein, im Glücksfall mit einer Zutat von ‚Neuem’, das interaktive Reagieren auf die Mitspieler scheint ein intellektueller und emotionaler Akt in Bruchteilen von Sekunden zu sein, das Ausdenken von Spielkonzepten, dramaturgischen Abläufen ist es per se. Vulgär ausgedrückt also Kopf plus Bauch.
Wie geht es im Jazz weiter? Überleben die Festivals?
Ich bin ja kein Prophet, meine aber, dass es gut weiter gehen wird. Die große Masse der Fans wird sich der rhythmischen Kraft unserer Musik nicht entziehen können, sei es als nicht überfordernder Swing/Bebop oder Rock-Funk-Groove, auch Ethno, you know what I mean; kenntnisreiche Feinspitze werden weiterhin begierig nach ‚Neuem’ Ausschau halten. Die Musiker selbst, sofern sie wirklich solche sind, werden ohnehin ihr Ding machen, ohne Rücksicht auf ‚Quote’.