Einige Medien tirilieren derzeit fröhlich “Schallplatten-Verkäufe schlagen Downloads” und identifizieren damit ausgerechnet die gute alte Schallplatte als den Hoffnungsträger musikalischer Informationen. Die Zahlen basieren auf der alljährlichen Auswertung der RIAA (Recording Industry Association of America) für das Jahr 2017, welche die statistischen Daten zum Verkauf von Musik zusammenfasst. Im diesem Report für das Jahr 2017 lässt sich diese vermeintlich frohe Botschaft tatsächlich entdecken, aber im Schatten der Schlagzeile gibt es für die Produzenten von physikalischen Tonträgern nur einen Lichtblick auf Funzelniveau.
Das Positive: Tatsächlich sind die Einnahmen mit dem Verkauf von Musik kräftig gestiegen. Vom Jahr 2016 zum Jahr 2017 um satte 16,7 Prozent. Die Zugewinne folgen damit sogar einem Minitrend der Vorjahre, nach ordentlichen Rückgängen in den Jahren zuvor – derzeit sind sie auf dem Stand von 2008 und immer noch deutlich entfernt von einstigen Höhen.
Die schlagzeilenträchtige Meldung von den downloadschlagenden Tonträgern ist allerdings nicht einmal die halbe Wahrheit, wenn erst im Fließtext der große Bruder der Downloads erwähnt wird, die noch flüchtigeren Tonbotschaften der Streamingdienste. Tatsächlich haben diese den Anstieg der Erlöse aus dem Musikverkauf befeuert. Vorwiegend zu Lasten der Downloads, die drastisch eingebrochen sind (um fast 25%) aber eben auch zu Lasten der CD (minus 6,5%). Die Einnahmen über Streamingdienste haben um 43% zugelegt und – tatsächlich – der einzige Gewinner auf der Seite der physischen Tonträger: Vinyl – mit 9,3% Zuwachs. Die prozentualen Angaben sind die eine Seite der Medaille, die absoluten Zahlen eine andere. Die Einnahmen für Streaming lagen bei rund 5,6 Milliarden Dollar, die für Vinyl bei rund 390 Million Dollar, bei CDs immer noch bei knapp über einer Milliarde Dollar.
Man darf davon ausgehen, dass die nordamerikanischen Zahlen auch für Deutschland den Weg weisen. Dort lagen die Streamingdienste mit einem Umsatz von 24,1% im Vergleich zu physikalischen Tonträgern mit 62,1% (Stand 2016) noch weit zurück. Ohne prophetische Kenntnisse: es wird nicht so bleiben.
Streaming ist die Zukunft. Das kann man mögen oder nicht, es ist aber wie praktisch alle technischen Entwicklungen nichts was man wieder einfangen wird. Die Entwicklung wirft eine Menge Fragen auf: Wer profitiert tatsächlich von den Zuwächsen im Streamingmarkt? Welche Folgen hat die Entwicklung auf längere Sicht für den Markt physikalischer Tonträger? Welche Folgen hat es für welche Künstlergruppen und Musikstile wie den Jazz?
Und der Jazz?
Der Jazz hat am gesamten Musikmarkt einen gerade noch nennenswerten Anteil. In Deutschland waren es 2016 2,1 Prozent, in den USA 1,4 Prozent. Die WELT stellt 2016 zum Jazz fest, dass er die einzige Musikform ist, die rückläufige Zahlen aufweist, ausgerechnet im Bereich der Digitalverkäufe.
“…bei den Digitalverkäufen ist (der Jazz) sogar die einzige Musikform, die Jahr für Jahr rückläufige Zahlen aufweist. Die treuen Jazzfans alter Schule, so ein Fazit der Untersuchung, streamen nicht und laden sich nichts runter. Neue CDs kaufen sie sich auch nicht. Noch nicht einmal, wenn sie von einem ihrer alten Helden stammen. (Josef Engels, WELT, 2016)
Insofern passt es schon wieder: eine Nischenmusik, die sich auf Nischentonträgern hält, die von einer aussterbenden Menschenschar gehört und gemacht wird – zumindest, wenn man sich auch hier die Ansicht von Josef Engels zu eigen macht und konstatiert: “Hier sehen wir dem Jazz beim Sterben zu” (in Bezug auf ein Jazzfotobuch von Arne Reimer). Man mag sich diesem Statement nicht völlig verschließen, trotz strohfeurigem Vinylboom.