Eine neue Band von Marc Ribot ist immer ein überraschendes und vor allem spannende Erlebnis. Auch dieses Mal versucht der Avantgarde-Gitarrist den Spagat zwischen schroffen Noise-Improvisationen und fast lyrischen Melodiefragmenten. Kontrastierende Spielformen prallen aufeinander und werden in eine Mixtur aus Jazz, Rock, Philly-Sounds, Noise, Punk-Funk und Rhythm & Blues umgewandelt. „The Young Philadelphians“ präsentieren mit Ribot eine Zwillingshinterlassenschaft: Es weht der Geist von Hamolodic Punk-Funk eines Ornette Coleman und zugleich der wohlige Pulse der 1970er Philly Sounds.
Zahlreiche Musiker der Free-Funk-Szene haben in ihrer Entwicklung viel über Intensität und Energie gelernt. Auch Marc Ribot hat diese Erfahrungen verinnerlicht. Das Bekenntnis zur Energie steht für ihn und seine Musik an oberster Stelle. Der Mann ist ein Berseker an der Gitarre. Dafür legt sein Konzert in der Rüsselsheimer Jazzfabrik ein lautstarkes und oft ans Infernalische grenzendes Zeugnis ab. Vor dem Publikum im gut gefüllten Backstage des Theaters präsentiert der innovative und kreative Gitarrist sein Projekt mit den Philadelphians und drei freien Avantgarde-Streichern.
Die Twin-Gitarren-Attacken von Ribot und Mary Halvorson werden unterstützt von dem riesigen Percussions-Set, mit seinen Dutzend Trommeln einschließlich zweier Bassdrums und einem halben Dutzend Becken, das Grant Cavin Weston mal im Beat , mal in freien Pulse bearbeitet. Das Ganze wirkt –wie schon ein Itel verspricht – wie eine „Cocktail Party“.
Marc Ribot sitzt oftmals versunken in seine gleißenden und attackierenden Läufe oder in den melodischen Single-Note-Linien. Aber er ist ein wachsamer Kontroll-Freak, der immer wieder mit kreisenden Armen oder Fingerzeigen den Einsatz der drei Streicher, des Drummers oder des flippigen Bassisten Jamaaladeen Tacuma signalisiert. Cellist Nathan Bontrager, die beiden Geiger Maximilian Haft und Axel Lindner aus der Kölner freien Improvisationsszene fügen sich hervorragend in das percussive und treibende Konzept des Gitarristen ein.
„Love TKO“ wird von einem lyrischen Melodielauf Ribots eingeleitet und sensibel von der Percussion begleitet, stürzt jedoch schnell ins Atonale ab. Ribot gibt den Streichern ein Zeichen für flirrende Passagen, die Geigen und das Cello quietschen in avantgardistisch-kammermusikalischer Manier vor dem einsetzenden Soundgewitter der Drums und einem scheinbar konventionellen Solo auf den E-Bass. Und wie so oft kommt die Dynamik in Wellenbewegungen, bevor Ribot wieder mit filigranen Linien in sein Gitarrenspiel versinkt. „Fly Robin fly“ klingt gar mit einem lang anhaltenden Akkord aus.
Faszinierend sind die Duette beiden Gitarren. Mary Halvorson reißt gleißende Glissandi aus den Saiten, verzerrt die Läufe mit dem Delayer oder verstärkt das metallen klingende Ruf-Antwort-Spiel mit dem Bottle-Neck. Ihre rauen, fetzenden und rasanten Stakkati zu den ostinaten Harmoniefiguren Ribots werden von einem Bass-Solo abgelöst. Dazu intonieren die Streicher eine hymnisch klingende Passage bis die Rhythmus-Maschine wieder anrollt. Ribot spielt sich ohne rhythmische Bindung frei, der Sound des Kollektivs steigert die Intensität orgiastisch bis zum Cescendo.
Das Publikum ist hingerissen und spendet stehend Beifall. Marc Ribot und seine Partner belohnen es mit der Zugabe „Johnny is no good“, in der der Gitarrist wie schon im Opener „Used to be her favorite“ seine stimmlichen Fähigkeiten ausreizt.