Nirgendwo ist der Jazz lebendiger als an den Rändern. Ein lautstarker und energetischer Beweis dafür ist die Musik des französischen Grenzgängers Louis Sclavis, der mit einer jungen Truppe in der Rüsselsheimer Jazzfabrik die Hinterbühne des Theaters mit einer heiß groovenden Melange aus Jazz, Folklore, Rock und Avantgarde zum Kochen brachte.
Louis Sclavis hat vor Jahren den Begriff der „folklore imaginaire“ geprägt und ihn später vehement für seine Musik zurückgewiesen, weil er sich missverstanden fühlte. Er schöpfe nicht aus der französischen Folklore, sondern aus der eigenen Erfahrung und der seiner Mitspieler, sagt der Bassklarinettist und Saxophonist. Das ändert allerdings nicht daran, dass bei manchen Kompositionen besonders in der Mehrstimmigkeit seiner Bassklarinette/Sopransaxophon und dem Altsaxophon seines Mitspielers Matthieu Metzger Kirmesmusik oder schlichte, volksliedhafte Melodik anklingen. „De charybde en Scylla“, „L´idee du dialect“ oder die von Melodielinien der Gitarre unterbrochenen, wiederholten Themenvariationen in „Story of a phrase“ sind solche Musiken. Doch die hintergründige Folk-Tradition wird überdeckt von jenem großen Klangraum aus avanciertem Jazz, Neuer Musik und Heavy-Metal-Noise, wie ihn Sclavis bereits auf seiner letzten CD“ L´imparfait des langues“ ebenfalls mit dem jungen Gitarristen Maxime Delpierre praktizierte und wohl auch in der geplanten Einspielung „Lost in the way“ zum Klingen bringen wird. Die verzerrten, elektronisch manipulierten Soundausbrüche Delpierres verraten dessen Liebe zu Jimi Hendrix, das mehr akustische Spiel zu den Jazz-Größen des Hardbop.
Flächige, hart angerissene Gitarrensounds, stupende Bassgrundierung, die Olivier Lete zwischendurch mit einen Stöckchen über den fünf Saiten zum Jaulen bringt, das treibende Pulsieren des Schlagzeuges, das Eric Groleau in den kurzen wie langen Soli mit wuchtigen Einzelschlägen akzentuiert – dies alles bildet einen passenden Klangteppich für die ekstatischen Duos und Soli von Sclavis und Metzger. Es gibt melodische Passagen, in denen Altsaxophon und Bassklarinette einander umspielen und die von sparsamen Akkordeinwürfen des Gitarristen unterlegt werden, es gibt auch parallel laufende Duos ebenso wie die Ruf-Antwort-Duette der beiden Bläser. Die Soli ufern meist in reduzierender Zerlegung des Themas aus, um schließlich doch wieder zur Headline zurückzukommen.
Zwischendurch brilliert Louis Sclavis unprogrammmäßig in einem virtuosen, in Zirkularatmung fließenden Solo auf der Bassklarinette, das in seiner harmonischen Fülle und Melodik eine faszinierend grenzenlose Kreativität sowie perfekte Technik auf dem Instrument verrät. Damit verschafft er den Gitarristen die Gelegenheit eine gerissen Saite auszutauschen.