Jugendjazzorchester Baden-Württemberg in der Wüste
Der Landesmusikrat schickte sein Jugendjazzorchester nun in die Wüste, nachdem dieses bereits Ende April im Baltikum gastierte. In den Vereinigten Arabischen Emiraten ging es zur süddeutschen Herbstferienzeit wahrlich heiß her – mit den Temperaturen und rein musikalisch. Auslöser war der Besuch von Außenminister und Jazz-Fan Frank-Walter Steinmeier, den es swingend zu unterstützen galt.
Unauslöschlich werden für die 22 baden-württembergischen Jazztalente die Erlebnisse in Abu Dhabi bleiben. In der Stadt mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt herrscht Luxus pur – aus karger Wüste wurde innerhalb weniger Jahre eine Metropole mit „blühenden Landschaften“ geschaffen. Dank der noch üppig fließenden Petrodollars und eines ausgeklügelten Bewässerungssystems.
Vor allem mit Kultur möchte die Hauptstadt des gleichnamigen Emirats auftrumpfen und nach dem abzusehenden Versiegen der Ölquellen finanzkräftige Klientel anlocken (und dabei die Konkurrenz Dubai ausstechen). Auf einer Museumsinsel sollen in Abu Dhabi bis 2012 illustre Dependancen vom Pariser Louvre und vom New Yorker Guggenheim entstehen.
Beim Besuch im 7-Sterne-Hotel „Emirates Palace“, das inzwischen als nobelste Herberge der Welt (Zimmerpreis ab etwa 600 Euro) gilt, waren die vergleichsweise ärmlich daher kommenden Deutschen überwältigt von den riesigen Dimensionen in Marmor, dem allgegenwärtigen Prunk und schließlich von dem feudalen Auditorium, in dem kurz zuvor das Orchester der Bayreuther Festspiele und der smarte Trompeter Till Brönner auftraten.
Geradezu bescheiden erschienen dann die Verhältnisse im nahe gelegenen Hilton-Hotel, in welchem das Landesjugendjazzorchester logierte. Im Haus und im Fahrzeug ist es auch Ende Oktober ohne eine kühlende Klimaanlage nicht auszuhalten. 37 Grad und eine hohe Luftfeuchtigkeit direkt am Meer erfordern ihren Tribut. Und in der Gluthitze einfach spazieren zu gehen funktioniert nicht. Dann lieber ein Taxi nehmen, das mitunter billiger ist als eine Busfahrkarte daheim.
Im Straßenbild und in öffentlichen Gebäuden sind Gemälde der Herrscherfamilie Bin Zayed Al Nahyan eine Alltäglichkeit. Eine Demokratie im westlichen Sinne existiert auch in diesem Teil der Golfregion nicht. Würden aber Wahlen stattfinden, so fänden die derzeitigen Staatsoberen eine Mehrheit wie in Bayern die CSU zu Stoibers Zeiten, meinte verschmitzt Botschafter Brandes auf Anfrage.
Klaus-Peter Brandes, Deutschlands Mann in Abu Dhabi, der Hauptstadt der 1971 gegründeten „United Arab Emirates“, kann inzwischen auf eine lange Diplomatenkarriere zurück blicken. Stationen waren seither u.a. Washington und das Sultanat Brunei. Vor über zwei Jahrzehnten amtierte er einmal in Dakar, und so begann die enge Freundschaft mit dem Saxofonisten Bernd Konrad, der damals mit der Big Band der Stuttgarter Musikhochschule in Senegal musizierte.
Als für die Steinmeier-Visite und die Nachfeierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit ein musikalisches Highlight gesucht wurde, kam Botschafter Brandes auf Professor Bernd Bernd Konrad zu. Anstatt einer Arbeitsphase auf Schloss Kapfenburg im Ostalbkreis hieß es für das Jugendjazzorchester Baden-Württemberg nun ab nach Abu Dhabi. Gesponsert wurde der Trip von zwei ortsansässigen Firmen, nämlich der „Al Rubaya Group“ und der „Electro Mechanical Co.“.
Selbst zu bezahlen hatten die Kids lediglich eine verführerische Wüstensafari mit japanischen Geländewagen. Außer einem waghalsigen Motocross im wilden Achterbahnstil auf hohen Sanddünen wurde da ein schaukelnder Kamelritt, ein idyllisch-kitschiger Sonnenuntergang, landesübliche Einkleidungen in Jalabiyas, ein lauwarmes Barbecue-Nachtessen inklusive antialkoholischen Getränken, ein obligatorischer Bauchtanz und genüssliches Wasserpfeifenrauchen geboten.
Kostenlos war hingegen die Besichtigung der imposanten Sheikh-Zayed-Moschee mit dem größten Gebetsteppich der Welt. Auch hier wurden die Klassenunterschiede evident: die reichen Emiratis auf der einen Seite und die vielen Gastarbeiter, vornehmlich aus Indien, Pakistan und Sri Lanka. Ein Empfang in der Residenz des Botschafters schloss sich am Nachmittag an.
Für die Araber war das „Jugendjazzorchester Baden-Württemberg“ offensichtlich unausprechbar und unbeschreiblich. So wurden die die Swinger aus dem Südwesten übertrieben als „German Youth Orchestra“ tituliert. Und das um 15 Uhr beginnende Konzert in der Abu Dhabi University hieß grundsätzlich „Jazz Night“. Das irritierte dann doch die Mitteleuropäer: Ein chaotischer Soundcheck, ein dauerndes Kommen und Gehen des Publikums; anstatt ruhiger Rezeption allgemeines Palaver, schlussendlich doch freudiges Mitklatschen und frenetischer Applaus. Jede Menge protokollarisches Brimborium samt Nationalhymnen aus dem Digitalspeicher, Verleihung von edlen Dankesurkunden an jeden Einzelnen aus deutschen Landen. Reizvoll und liebevoll in glissandierender und mikrotonaler Muezzinrufmanier auf Deutsch ein herzliches „Auf Wiedersehen“. Total verhüllte Frauen oder Damen mit Sehschlitz oder gar ganz freiem Gesicht hatten sich auf der Empore separiert. Lockerer wurde die Atmosphäre, als nach der Show im Audimax die Freunde vom „ADU Music Club“ mit den europäischen Gästen vereint auf dem Campus fröhliche Rundtänze im Sechsertakt vollführten.
Musikalische Hauptakteure bei der Einweihung der neuen deutschen Schule, der „German International School“, waren die Kinder mit Chorgesang. Unabdingbar wieder die Hymnen der beiden Länder, dezent unterstützt von einer Combo vom „LaJazzO“. Als dem in englischer Sprache intonierten Standard „Autumn Leaves“ der Altsaxofonist Julian Bossert ein cooles Solo beifügte, lauschte Außenminister Frank-Walter Steinmeier ganz gespannt. Neben ihm hatte nicht, wie ursprünglich geplant, der gerade zu wichtigen Gesprächen in Teheran weilende emiratische Kollege Seine Hoheit Sheikh Abdullah bin Zayed Al Nahyan Platz genommen, sondern der Bildungsminister Hanif Hassan Ali. Im Gefolge von Steinmeier befand sich eine Wirtschaftsdelegation, angeführt vom Deutschen-Bahn-Boss Hartmut Mehdorn, der im sechs Flugstunden entfernten Abu Dhabi vielleicht kurzzeitig von all dem heimischen Ärger mit den rissigen ICE-Achsen, den daraus erfolgenden Zugverspätungen und -ausfällen, dem plötzlich hereingebrochenen Winterchaos auf den Schienen und den Aufruhr über die versprochenen Bonus-Zahlungen abgelenkt wurde. Außerdem hatte der Außenminister zu seinem Dreitagetrip nach Pakistan, Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate noch Kulturschaffende mitgenommen – den Pop-Fotografen Jim Rakete sowie die Autoren Steffen Kopetzky und Tanja Dückers.
Als nächster Schauplatz diente der „Hiltonia Garden“ direkt am Meer und am Badestrand des Hilton-Hotels. Botschafter Hans-Peter Brandes lud aus Anlass des Tages der Deutschen Einheit, der wegen des Ramadan in dem muslimischen Land nicht termingemäß am 3. Oktober bejubelt werden konnte, und der Außenminister-Visite die feine Gesellschaft und Mitglieder der deutschen Kolonie ein. Schließlich erschienen etwa zweitausend Gäste. Auch bei diesem Event drängelten sich mehrere TV-Teams und Bildjournalisten um die besten Positionen und Einblicke.
Ein Fest mit etlichen Dirndln, Bratwürsten, Sauerkraut, Kartoffelsalat und sogar gezapftem Bier. Die Big Band wurde dazu verdammt, Backgroundmusik zu den Unterhaltungen an den heißen und kalten Büffets zu liefern. Noch nie waren die Noten der badischen und schwäbischen Jazzern so nass und die Anzüge so verschwitzt – ein derart feuchtes Klima zu abendlichen Stunden hatte man nicht einkalkuliert.
Als die aufmerksamsten Zuhörer erwiesen sich die Organisatoren, Sänger, Tänzer und Perkussionisten vom „Music Club“ der Universität. Zu Recht waren sie erstaunt, wie fetzig so Stücke wie „Centerpiece“, „Brass Machine“ und „Diggin’ On James Brown“ interpretiert wurden. Vehement agierten die drei Vokalistinnen Carolin Bechtle, Julia Ehninger und Verena Nübel. Kaum zu glauben, wie stark und höhengewandt der erst 16-jährige Trompeter Christian Mehler ins Horn stößt.
Ohne zu schlafen ging es dann flugs zum Airport – Abflug mit Lufthansa im Airbus A-330 zunächst nach Frankfurt. Bei der Landung in Stuttgart fühlte man kalte Temperaturen und hatte Schnee gesehen. Abends stand – nach einer kurzen nachmittäglichen Schlafrunde – gleich der nächste Auftritt auf dem Programm. Das seit einem Jahr fixierte Konzert auf der Kapfenburg bei Lauchheim musste absolviert werden. Aber da war das Jugendjazzorchester nicht mehr verpflichtet, würdevoll die emiratische und deutsche Nationalhymne erklingen zu lassen…