Karl Seglem, Fotografie: Hans Kumpf
Ein Konglomerat von norwegischer Volksmusik und jazzorientierter Improvisation entwickelte Komponist Karl Seglem. Im Rahmen einer Deutschlandtournee, bei der er seine neue Platte „Ossicles“ vorstellte, gastierte der Saxofonist auch in Halls Hospitalkirche. Mit dabei: ein skandinavisches Quintett – und ein Ziegenhorn.
Schwäbisch Hall. Freilich, dieses „Bockshorn“ verkommt hier nicht zur billigen Effekthascherei. Karl Seglem bläst das tierische Naturprodukt mit einem Trompetenansatz, und durch in das „goat horn“ hineingebohrte Löcher kann er die Länge der Luftsäule variieren und somit eine brauchbare Diatonik schaffen. Der Sound gibt sich weich und fast schon sphärisch – erst recht, wenn elektronisch künstlicher Nachhall hinzugefügt wird. Entsprechend bläst der Norweger auch sein afrikanisches Antilopenhorn. Als Hauptinstrument des 49-Jährigen verbleibt allerdings das Tenorsaxofon, und da hat Seglem die geläufigen Spieltechniken drauf. Diese reichen von melancholischen Melodien bis zu obertonreichen Geräuschaktionen.
Håkon Høgemo
Für mitteleuropäische Verhältnisse unorthodox erscheint auch die norwegische Hardanger-Fiedel. Gespielt wird das Streichinstrument mit den vier Hauptsaiten und bis zu sechs unter dem Griffbrett verlaufenden Resonanzsaiten von Håkon Høgemo, der mit Seglem schon seit zwei Jahrzehnten kooperiert. Doch Høgemo betätigt sich mehr im harmonischen Background, als dass er sich virtuos solistisch ereifert. Und da meint man mitunter, eine Drehleier herauszuhören.
Dem „erzählenden“ Klang der Kora-Laute ähnlich ist das ebenfalls aus Westafrika stammende „Konting“-Zupfinstrument. Olav Torget, der ansonsten auf der E-Gitarre viel Filigranes von sich gibt, bedient diesen exotischen Klangerzeuger. Ein weltmusikalisches Sammelsurium traktiert schließlich sensibel der gewitzte Perkussionist Harald Skullerud. Bei der CD- und (audiophilen) Vinyl-Produktion „Ossicles“ („Gehörknöchelchen“), die unlängst das deutsche Label „Ozella Music“ auf den internationalen Markt warf, war er nur bei einem Stück beteiligt.
Skullerud
Extra für die Tour verpflichtet wurde der Schwede Stefan Bergman, der sich nun auch in Schwäbisch Hall mit seiner Bassgitarre bestens in das Konzept der vier norwegischen Kollegen integrierte und auch mal barockale Kontrapunktik einbrachte.
Mit den sich gerne wiederholenden folkloristischen Themen Norwegens, unaufgeregter Modalharmonik und vielen Riffs ging die Musik leicht ins Ohr. Weit mehr als im Tonstudio vermag in einer „live“-Situation die ausgedehnte improvisatorische Interaktion an Bedeutung gewinnen.
Karl Seglem
Bei der zweiten Zugabe in der Hospitalkirche wurde es dann richtig popig, rockig – und jazzig. Veranstaltet wurde der erfolgreich verlaufene Abend gemeinsam von Kurt Hohensteins und Werner Feuchts „Konzertkreis Triangel“, von Dietmar Winters Jazzclub Schwäbisch Hall und von Ute Christine Bergers städtischem Kulturbüro.
Hans Kumpf
INTERVIEW
Hans Kumpf: Die Kritiker schreiben ja viel über Ihre Musik. Was ist für Sie das Wichtigste, welche Einflüsse verarbeiten Sie?
Karl Seglem: In wenigen Worten kann man dies kaum erklären. Meine Musik basiert hauptsächlich auf der Tradition der norwegischen Volksmusik, speziell der Hardanger-Fiedel-Musik, auf meinen Kompositionen und meine Improvisationen. Andererseits spielte ich in den letzten zwanzig Jahren in Big Bands und Combos eine Menge Jazzmusik. So bedeutet dies ein Mix von Improvisationspraxis und der Erfahrung, die ich mit dem Lernen und Unterrichten von Volksmusik gewonnen habe. Diese Dinge möchte ich in meiner Eigenschaft als Komponist weiter entwickeln – und auch als Tenorsaxofonist. Ich möchte betonen, dass für mich die Improvisation sehr wichtig ist – Räume zu schaffen, damit jeder einzelne Musiker die Möglichkeit zum Improvisieren hat. Es ist auch einzigartig, wie ich die Hardanger-Fiedel einsetze. In der traditionellen Musik tritt sie solistisch hervor, bei mir jedoch übt sie eine eine „akkordische“ Funktion aus. Ich arbeite stets weiter an meiner Konzeption. „Ossicles“ ist nun das dritte Album mit diesem Quintett. Zuvor arbeitete ich in einem Trio – ohne Bass und Gitarre. Es dauerte also lange Zeit, um dieses Ergebnis zu erzielen.
Hans Kumpf: Fühlen Sie sich mehr als Volksmusiker oder als Jazzmusiker?
Karl Seglem: Ich bin ein Improvisator, und für mich bedeutet Jazz vor allem Improvisation. Für mich ist wichtig, dass ich Freiräume habe – und oft ist in unserer Musik nichts vorbestimmt. Außerdem ist die Kommunikation mit dem Publikum unabdingbar. Also: Ich bin ein improvisierender Musiker, ein Jazzmusiker.