Jazzlegenden in Bad Mergentheim: Archie Shepp und Reggie Workman (mit Fotos)

Die Jazzlegenden lassen auf sich warten. Ein Viertelstündchen verspätet sich schon der Einlass und als das Publikum im Saal des Deutschordenschlosses Platz genommen hat, springt Veranstalter Ulrich Rüdenauer noch zweimal auf die Bühne um einige Minuten für die beiden Musiker des Abends heraus zu schlagen. Kein Murren im Publikum, vielmehr Vorfreude auf den Saxophonisten Archie Shepp und seinen Duo-Partner am Bass, Reggie Workman. Die Begeisterung spiegelt sich dann auch in Rüdenauers Ankündigung wieder: er freut sich auf ein besonderes Konzert, das auch Dank des Enjoy Jazz Festivals zustande gekommen ist. Am Tag zuvor spielten die beiden Musiker noch in größerer Formation das Abschlusskonzert des Festivals der Metropolregion Rhein-Neckar in Heidelberg.

Workman und Shepp springen nicht gerade auf die Bühne aber sie bewegen sich gut gelaunt, und elegant gekleidet – die Krawatte stört nur gelegentlich beim Bassspiel –  für zwei 79-jährige erstaunlich agil zu ihren Instrumenten. Die beiden haben im Verlauf ihrer Karriere nicht allzu häufig zusammen gespielt, aber ihrer beider Musikgeschichte ist voller Höhepunkte und gespickt mit musikalischen Begegnungen, die die Jazzgeschichte prägten: John Coltrane, Don Cherry, Max Roach, Art Blakey, Eric Dolphy, Wayne Shorter, Mal Waldron – um nur einen Bruchteil an Namen zu nennen.

Archie Shepp, war immer auch ein politischer Kopf, der die afro-amerikanische Musik stets als Protest, Erinnerung und Kommentar zu Diskriminierung und Benachteiligung der „people of colour“ in der USA verstand. In Bad Mergentheim gab es auch diesen Aspekt, wenn er das Gedicht zu Malcolm X, Revolution und seine Großmutter „Mama Rose“ – übrigens: exzellent – singt oder den „Blues for Brother George Jackson“ von seinem Album „Attica“ aus dem Jahr 1972. Vor einigen Jahren hat er diese Songs noch heraus gebrüllt, an diesem Abend ist der melancholische Aspekt im Vordergrund, nicht minder expressiv.

Selbst in Shepps Zeit des ungestümen Free Jazz schwangen Blues und Gospel als Grundrhythmus seiner Musik stets mit. Diese Ursubstanz der Musik von Charlie Parker, Ellington und natürlich Coltrane spielen die wesentliche Rolle an diesem Abend. Und wer, wenn nicht dieses Duo, das diese Musik seit Jahrzehnten lebt – auch mit ihren durchaus gelegentlich prekären Begleiterscheinungen – könnte glaubwürdiger diese, aufs wesentliche reduzierten, Klassiker interpretieren? Der fast schon sanfte Gesang findet sich in Shepps Saxophonspiel immer noch nicht – das ist auch bei Coltranes „Naima“ noch immer „Fire Music“, und die sichtbare Anstrengung am Sopransaxophon wird nicht hörbar, so wuchtig stößt er immer noch die Töne aus dem Horn.

Angemessen für einen, der den Begriff „Jazz“ ablehnt. Für ihn ist es die „African American Music“. Musik, die er mit Reggie Workman an seiner Seite vollkommen authentisch zelebriert. Der früher durchaus zornige Shepp wirkt an diesem Abend fast schon milde, vielleicht, weil er wahrnimmt, wie empathisch das Publikum reagiert. Mit Workman hat er einen großartigen Begleiter – kurze ausgetauschte Vorgaben zu den Titeln, gelegentlich mit Lächeln aufgelöste Mini-Missverständnisse, vor allem ein tiefes gemeinsames Verständnis für die Musik. Zum Schluss die enthusiastisch herbei geklatsche Zugabe: Monks „Round Midnight“.

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