Jazz bei den Donaueschinger Musiktagen

Donaueschingen – Jazz gibt es bei den Donaueschinger Musiktagen nicht unbedingt (nur) unter der Rubrik „NOWJazz Session“. Die ersten swingenden Töne hörte man heuer in der Donauhalle bereits vor dem eigentlichen Start der Novitätenmesse. Saxofonist Bernd Konrad interpretierte mit einem Trio zeitlose Werke seines Instrumentalkollegen Hans Koller (1921-2003). Der Österreicher Koller war eine künstlerische Doppelbegabung, wobei er seine abstrakten Gemälde mit vielerlei Technik gestaltete – stets akribisch genau und präzise. In der Ausstellung „Die Farbe ist die Musik in den Bildern“ wird eine Anzahl von visuellen Koller-Kreationen, die er einst Freunden und Gönnern geschenkt hatte, als Leihgaben gezeigt. Mitte der sechziger Jahre lebte der umtriebige Wiener in Donaueschingens Nachbarort Bräunlingen, und im dortigen Kelnhof-Museum sind an Sonntagen bis zum 18. November die Werke des berühmten Mitbürgers weiterhin zu bestaunen.

Relativ lang anhaltende Jazzpassagen integrierte Stefano Giannotti in sein mit dem Karl-Sczuka-Preis ausgezeichnetes Hörspiel „Geologica“. Da röhrte der Saxofonist Fabrizio Desideri herzhaft bebopig und free mit Cool-Attitüde ins Horn und trug so seinen Teil für eine kurzweilige und putzmuntere Radiokunst bei.

Bei „The Name of the Song“ für Streichtrio, Fender Rhodes, Schlagzeug, Synthesizer und Elektronik ließ der Franzose Francois Sarhan aktionsreich und vital rhythmisch mehr „swing“ und „drive“ anklingen als dies beim so genannten Jazz-Wanderkonzert der Fall war. An drei Spielorten diesseits und jenseits der Brigach trat zu mitternächtlicher Stunde jeweils eine Berliner Kleingruppierung auf. 

Wieder einmal zwei Elektroniker, die scheinbar apathisch, lethargisch und lasziv an Notebook und Drehreglern hantieren und irgendwie Sounds entstehen lassen – primär esoterisch anmutende Klangbänder mit viel reinem Sinusanteil. In der offenen Lagerhalle der Fürstenberg-Brauerei gesellte sich zu den beiden Knöpfedrückern Serge Baghdassarians und Boris Baltschun noch der Drummer Burkhard Beins, der wenigstens etwas mehr Körperlichkeit ins Spiel brachte, obgleich er bei mit dem Bogen gestrichen Becken ebenfalls in elektronischer Ästhetik verharrte.

Konventionell jazzig tönte in der runden Christuskirche auch das Duo „The International Nothing“ nicht. Aber die beiden Klarinettisten Kai Fagaschinski und Michael Thieke interpretierten respektive improvisierten ihre drei Stücke ungemein homogen und filigran: Faszinierende Harmonics und Mikrointervalle im quasi gemeinsamen Atemzug.

Äußerst nuanciert und ohne jede Kraftmeierei entlockte der Engländer Robin Hayward seiner Tuba unerhörte Sounds. Seine Duo-Partnerin Annette Krebs sorgte im Sitzungssaal vom Finanzamt an elektronischem Gerät und an flachliegender Gitarre für mehr Abwechslung und Pausen als ihre beiden Kollegen inmitten der Fürstenberg-Bierkisten.

Auch bei der zweiten diesjährigen Donaueschinger „NOWJazz Session“ inszenierte der verantwortliche SWR-Redakteur Reinhard Kager wieder viel Steckdosenmusik. Der amerikanische Bassgitarrist Elliott Sharp steuerte mit „Ripples from the Bang“ eine Uraufführung bei, die zumindest beim ersten Höreindruck wenig abwechslungsreich und aufregend war. Synthetische Langklänge gegen impulsiven Aktionismus – diese Stereotypen kennt man ja zu Genüge.

Mit praktisch gleicher Besetzung gelang dem österreichischen Komponisten Bernhard Lang, der einstens immerhin in Graz auch Jazz studierte, ein Werk mit mehr Spannungsaufbau und Facetten.

 Zwar hatten die beiden Rapper LaTasha N. Nevada Diggs (weiblich) und „Mixmastertodd“ (männlich) auch hier viele Textzeilen über die verrückte und kriegslüsterne Menschheit abzulesen, doch es konnte bei Langs „Paranoia“ noch emotional gesungen werden. Solistisch durfte sich der Schweizer Saxofonist Hans Koch draufgängerisch entfalten, und sein Eidgenosse Fredy Studer war am Drumset nicht mehr zu simplen Rhythmen verdammt. Als ruhender Pol fungierte der englische „Turntabler“ Philip Jack mit alten Schallplatten. Schlussendlich ein vehementes Bassgitarrensolo von Elliott Sharp und im elektronisch-akustischen Einklang ein dramatisches Aufbegehren samt (Kirchen-)Glocken aus dem Digitalspeicher.

Ein Übermaß an Erklärungen und Erläuterungen gibt es im Donaueschinger Programmheft auch zu den Darbietungen der Jazzer. Mit „War Zones“ war die vom Südwestrundfunk zudem mittels Internet „live“ übertragene Veranstaltung in der Sporthalle der Gewerblichen Schule betitelt. Ob George W. Bush mitgelauscht hat und darob zum Pazifisten konvertierte, mag dahingestellt sein.

(Oktober 2007)

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