Enorme Präzision mit eigenem Profil
Wieder einmal begeisterte der Posaunist Nils Wogram in Schwäbisch Hall. Mit seinem bewährten Quartett „Root 70“ spürte er in der Hospitalkirche bei einem gemeinsamen Konzert des örtlichen Jazzclubs und des städtischen Kulturbüros die diversen Wurzeln der afro-amerikanischen Musik auf.
2007, bei der allerersten Ausgabe des Haller Jazz-Art-Festivals, konzertierte Nils Wogram in der Hospitalkirche zusammen mit dem russischen Pianisten Simon Nabatov. Zwei Jahre danach stellte der 1972 in Braunschweig geborene Posaunist sein vielgelobtes Ensemble „Root 70“ im Theatersaal des Alten Schlachthauses vor. Jetzt hat ihn Dietmar Winter, Vorsitzender des Jazzclubs, erneut nach Schwäbisch Hall verpflichtet. Die Besetzung von „Root 70“ ist die gleiche geblieben, doch etliche der ausgefeilten Kompositionen sind nun ganz aktuell und noch nicht auf CD dokumentiert.
Der aus Neuseeland stammende Altsaxofonist Hayden Chisholm ordnet sich nach wie vor dem gestrengen Gruppenkonzept unter – auch nachdem er 2013 aufgrund seiner „einzigartigen Klangästhetik“ den SWR-Jazzpreis verliehen bekam und sich jetzt selbst als wegweisender Bandleader aufspielen könnte. Mit lyrisch-leisen Tönen lässt Chisholm aufhorchen und bezaubert mit einem äußerst kultivierten „Cool“-Sound, oft an Paul Desmond („Take Five“) erinnernd. Der 40-Jährige ging in der Jazzgeschichte stilistisch zurück, als er den butterweichen und zuckersüßen Sound von Johnny Hodges mit dessen typischen Glissandi imitierte. Auslöser dieser Ballade war „Isfahan“, ein lässig-locker swingender Standard des Pianisten Billy Strayhorn, dem Alter Ego von Duke Ellington. Und Nils Wogram growlte akkordisch auf seinem „Nebeninstrument“, einer kleinen handlichen Melodica, zum fein intonierten Bass-Solo (Matt Penman). Egal, wer für die einzelnen Kompositionen und Arrangements verantwortlich zeichnet, „eigenartig“ in der Konzeption von „Root 70“ sind lange Lamento-Linien im Pianissimo, homophon ausgeführt von Altsax und Posaune zu den vielen gezupften Kontrabass-Improvisationen.
Als sehr schnellzüngig und lippenstark erwies sich Nils Wogram auf der Zugposaune – von allertiefsten „Pedaltönen“ bis ins höchste Register. Und mühelos integriert er in seine künstlerischen Beiträge verblüffende „Interferenztöne“, eine durch zusätzliches Hineinsingen ins Instrument erzeugte Mehrstimmigkeit. Albert Mangelsdorff, der ja am 14.1.1968 mit seinem Quintett auf der gleichen säkularisierten Kirchen-Bühne auftrat, hatte einst diese virtuose Technik hierzulande und weltweit propagiert.
Das kosmopolitische Quartett von Nils Wogram agierte stets subtil und sensibel, alle Instrumente blieben – bis auf den Korpusbass – unverstärkt: „Unplugged“ in kammermusikalischer Atmosphäre. So zurückhaltend wie nun Jochen Rückert agierte selten ein Schlagzeuger in dem barocken Bau. Perkussionistische Untermalung anstatt metrisch-rhythmisch forcierter Exzesse. Erst zu Konzertende drehte der Drummer drastisch auf. Aber da übertölpelte er nicht durch unangemessene Lautstärke die 130 konzentriert lauschenden Zuhörer, unter denen man viele neue Gesichter entdecken konnte. Mehrere Zugaben nach einer Konzertdarbietung, bei der Tradition und Jetztzeit eine stimmige Symbiose eingegangen waren.