Wenn Tania Maria flinkfingrig und percussiv in die Tasten des Flügels haut, einmal gar mit dem Ballen der rechten Hand Cluster aus den Saiten hämmert, und dazu wie in „Tranquility“ rasend scattet, wenn sie also ein temperamentvolles Feuerwerk ihrer Mixtur aus Funk und Jazz sowie dominierender, unverkennbar brasilianischer Populärmusik abbrennt, dann vermag man der 1948 geborenen Künstlerin ihr Alter nicht glauben. Gewiss, sie ist seit ihrem Durchbruch in den 1980er Jahren zur „Grande Dame“ Brasiliens gereift, doch ihre extrovertierte Performance auf der Bühne sprüht vor jugendlichem Charme.
Die hr-Bigband mit ihrer vorzüglich treibenden Rhythmusgruppe vor den satten und kraftvollen Bläsersections macht es ihr allerdings leicht. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Rundfunk-Bigbands als lässig swingende Tanzorchester das Publikum unterhielten. Raffinierte Arrangements mit komplexer Satzarbeit, verschachtelten Rhythmen und ungewöhnlichen Klangfarben stellten höchst professionelle Ansprüche an die Instrumentalisten. Die hr-Bigband wird diesen Anforderungen seit vielen Jahren gerecht, hat sich unter ihrem früheren Leiter Jörg Achim Keller mit zahlreichen Projekten von DaDa-Vertonung und Modest Mussorgsky bis Astor Piazzolla und Hermeto Pascoal einen untadeligen Ruf erworben. Auch Marko Lackner hat diese Ansammlung innovativer Solisten und Bandleader locker im Griff, steuert mit einer Handbewegung die Dynamik, hebt die Flöten und Saxophone wie in „Come with me“ auf einen samtenen Klangteppich oder treibt mit rotierender Faust die Blechbläser zu sich steigernder, gleißender Intensität. Keine Frage, dass Band-Mitglieder wie der Saxophonist Tony Lakatos mit seinem soulgetränkten Phrasen, Rainer Heute am warm grundierenden Bariton- oder Steffen Weber am expressiven Tenorsaxophon sowie der Trompeter Martin Auer mit strahlendem Ton neben anderen in ihren Soli bestechen.
Vor dieser bestechenden Klangkulisse kann sich Tania Maria mit ihrer tragenden Stimme und dem artistischen Klavierspiel voll ausleben. Sie singt gefühlvoll mit warmer Altstimme in den balladesken Stücken, verharrt aber nie lange in getragenen Passagen. In „Valeu“ folgt einer verspielten Piano-Intro, zu der sie – wie des Öfteren in diesem Konzert der Rüsselsheimer Jazz-Fabrik – die Melodie pfeift sowie einer warm klingenden, mehrstimmigen Bläserpassage ein sich kraftvoll entwickelnder Mittelteil, bevor die Komposition wiederum sanft ausklingt. Typischer für Tania-Maria, von der alle Kompositionen des Abend stammen, sind „Chuleta“ oder „Dear Dee Vee“, schnell und voller Kraft, mit hüpfender Percussion der Rhythmusgruppe, die gleich von zwei Percussionisten Farouk Gomati und Rodrigo Villalon sowie dem Schlagzeuger Paul Hochstädter gefüttert wird. Mit glissandoreichen, rasenden und expressiven Läufen beweist in „Eruption“ Gitarrist Martin Scales seine Virtuosität.
Mit humorvoller, teils selbstironischer Moderation hat die Grande Dame Tania Maria das Publikum im gut gefüllten Theater schnell im Griff. Dass sie in der Zugabe „Sangria“ die Fans mit schnellen Scat-Vokalisen zum Mitmachen auffordert, wohl wissend, dass es damit überfordert ist, wird ihr kaum jemand als Arroganz ankreiden wollen. „Come with me“ lautet der Titel des Programms. Die begeisterten Zuhörer folgten Tania Maria und der Big Band gerne.