NEW YORK / LONDON. Am 7. August starb in London der Grandseigneur der Mundharmonika Larry Adler, 87. Sein eigenes Geschenk zum 80. Geburtstag bescherte dem im amerikanischen Bundesstaat Maryland geborenen Künstler allergrößten Weltruhm. Bei der CD „Glory of Gershwin“ musizierten so 1994 mit Larry Adler arrivierte Pop-Stars wie Sting, Chris de Burgh, Cher, Kate Bush und Elton John. Musikalischer Macher war hier der Beatles-Produzent George Martin, der nun unter eigenem Namen seine kompositorischen Fähigkeiten ausleben konnte. Die mehrfach ausgestrahlte TV-Dokumentation der Aufnahmesession zeigte, wie entspannt und konzentriert zugleich der dynamische Altmeister mit seinen jungen Kollegen arbeitete. Und nebenbei demonstrierte Adler noch, dass er auch in Pop-Business-Umgebung vom jazzenden Improvisieren nicht lassen konnte. Seine chromatische Mundharmonika hatte er längst zuvor zu einem vollwertigen Melodieinstrument emanzipiert, das in seinem intellektuellen Sound kaum mehr an biedere Volkmusik oder an Cowboy-Romantik erinnerte.
Als ich im August 1979 Larry Adler in New York persönlich kennen lernte, geschah dies mehr oder weniger zufällig. Im Frühstücksfernsehen hatte ich den Herren mit der Mundharmonika gesehen, und am Abend wollte ich im Lokal „The Cookery“ die ergraute Vokalistin Alberta Hunter erleben. Doch mit dem Konzertbesuch bei der alten Damen wurde es nichts, da sie sich nach dem wochenlangen Club-Engagement ein paar Urlaubstage gönnen durfte. Als ihr Vertreter fungierte nun Larry Adler, der vor relativ wenigen Zuhörern mit Klavierbegleitung spielte. Da ich eine Reportage über die New Yorks Musikszene intendierte, kam ich mit ihm ins Gespräch. Schnell waren wir bei thematisch bei „Summertime“ angelangt, und Larry Adler erzählte voller Stolz, dass er einst das aus der Oper „Porgy and Bess“ Evergreen mit dem Komponisten George Gershwin höchstselbst gespielt habe.
Larry Adler erblickte am 10. Februar 1914 als Kind russisch-jüdischer Einwanderer in Baltimore das Licht der amerikanischen Glitzerwelt, entpuppte sich alsbald auf der Mundharmonika als Wunderkind, flog aber wegen renitenten Verhaltens aus dem Musikkonservatorium seiner Heimatstadt. Noch als Teenager startete er in New York seine Karriere und knüpfte viele Kontakte. Zu seinen Freunden und Bewunderern zählten neben Gershwin auch die Tonschöpfer Darius Milhaud und Maurice Ravel.
Spektakulär verliefen seine Auftritte am 4. Juli 1945 vor GIs. Zum amerikanischen Unabhängigkeitstag intonierte Adler zunächst auf dem Reichstagsgelände in Nürnberg Gershwins „Rhapsody in Blue“, kurze Zeit später musizierte er zusammen mit der Schauspielerin Ingrid Bergman, mit der er eine liebevolle Liaison einging, auf dem Balkon der ehemaligen Reichskanzlei Wenig später wurde der Musiker Opfer politischer Hysterie. In den USA hatte man ihn als angeblichen Kommunisten denunziert – und der erzürnte Adler floh 1949 nach London, wo er seither seinen ständigen Wohnsitz einnahm. Obwohl er zwei Schlaganfälle hinter sich hatte sowie von Lungenentzündung und Krebs gezeichnet war, plante Adler noch kurz vor seinem Tod eine Konzertreise durch China.