Hans Kumpf: 8. Internationales JazzArtFestival in Schwäbisch Hall

Oregon Foto: Hans Kumpf
Text und Photos: Hans Kumpf

Von Irene Schweizer aus der Schweiz
bis zu Oregon aus Oregon

Schwäbisch Hall. Das seit 2007 in der Bausparkassen- und Salzsiederstadt Schwäbisch Hall durchgeführte JazzArtFestival erfreute sich bei seiner 8. Ausgabe einer nie dagewesen Publikumsresonanz. Das Ticket-Interesse für das virtuose Duo von Till Brönner (Trompete, Flügelhorn und Electronics) mit dem Kontrabassisten Dieter Ilg war so immens, dass man das Konzert von der schmucken Hospitalkirche, die nur 250 Besucher fasst, in den größeren Neubausaal verlegte. Das Duo-Format war prägend für die vom städtischen Kulturbüro, vom örtlichen Jazzclub, vom „Konzertkreis Triangel“ und vom der Goethe-Institut-Filiale gemeinsam durchgeführten fünf Festivaltage. Eine Ausnahme bildeten da jedoch die nicht jazzpuristischen Formationen des Keyboarders Nik Bärtsch und des Trompeters Matthias Schriefl.

In den 1960er Jahren mischten die Pianistin Irene Schweizer und der Schlagzeuger Pierre Favre in der aufmüpfigen Free-Jazz-Szene mit und nunmehr haben sie das Rentenalter längst überschritten. Aber beide sind kreative Unruhegeister geblieben: Irene Schweizer, geboren am 2. Juni 1941 in Schaffhausen, und Pierre Favre, geboren ebenfalls an einem 2. Juni – vier Jahre früher, nämlich 1937, in Le Locle direkt an der Grenze zu Frankreich.

Favre / Schweizer

Im Gebiet von Le Locle hat das Uhrmacherhandwerk stolze Tradition. Von dieser scheint Pierre Favre geprägt zu sein, wenn er mit sprichwörtlicher „Schweizer Präzision“ vorgeht. Normalerweise bedient Favre allerlei perkussionistisches Kleingerät aus Metall, nach Schwäbisch Hall reiste er mit dem Zug und brachte im Handgepäck nur eigene Becken und diverse Schlegel mit. Die Trommeln wurden vom Jazzclub gestellt, darunter wunschgemäß gleich zwei „bass drums“, übrigens ein Markenzeichen des sportiven Swing-Haudegen Louie Bellson. Auf ein HiHat (mit zwei per Pedes aufeinanderschlagenden Cymbals) verzichtete Pierre Favre diesmal.

Subtil und filigran ging Pierre Favre vor, ließ buchstäblich die Trommeln sprechen, entwickelte eine komplexe Polyrhythmik und ließ das Metrum nie penetrant werden. Als Könner, der zehn glückliche Jahre als Dozent an der Stuttgarter Musikhochschule verbrachte, entlockte er seinem relativ spartanisch ausgerüsteten Drumset doch noch viele nuancierte Klangfarben. Und vor allem ist er ein guter Zuhörer, der einfühlsam jetzt wieder mit Irene Schweizer kommunizierte und interagierte. Seit fast einem halben Jahrhundert spielen die beiden Eidgenossen zusammen, und dies bereitet nicht nur den erfahrenen Künstlern enormen Spaß, wie deren Gesichtsausdrücke immer wieder erkennen lassen, sondern auch dem Publikum.

Die Pianistin Irene Schweizer pflegte einst einen entfesselten Free Jazz, aber nunmehr sind tonale Zentren, ein latentes Swingen, Blues-Stimmungen, Spieluhrenhaftes, modalharmonische Momente, Riffs und ostinate Figuren erlaubt. Wenn da wiederholt Anklänge an die südafrikanische Kwela-Musik auftauchen, bezieht sich Irene Schweizer offensichtlich auf ihren langjährigen Trio-Drummer Louis Moholo, der aus Kapstadt stammt. Aber sie hantiert dann kontrastierend im Inneren des Flügels und lässt mittels Unterarm-Cluster schrille Dissonanzen erschallen.

Authentische kosmopolitische Musik, Multi-Kulti im besten Sinne – dies praktizierte das namentlich von der japanischen Tastenkünstlerin Makiko Hirabayashi angeführte Ensemble Ende 2011 in Schwäbisch Hall. Die Besetzung ist konstant geblieben, doch der konzeptionelle Ansatz hat sich mittlerweile verschoben. Freilich, immer noch wird hier eine weltoffene Musik praktiziert, doch die Stücke sind mittlerweile anscheinend mehr durchkonzipiert und das Klavier hat an Bedeutung gewonnen.

Makiko Trio

Da klingt immer wieder Barockmusik eines Johann Sebastian Bachs durch mit „geraden“ Achteln und feiner Kontrapunktik. Einen gedämpften Sound erzielt die Japanerin, wenn sie ein rotes Wollestück auf die Steinway-Flügelsaiten legt und – wie einst der Avantgarde-Komponist John Cage – ein „prepared piano“ inszeniert. Impressionistisches Geflimmer wie bei Claude Debussy, perlende Einzeltöne, aber auch zupackende Komplexität und irrwitzige Klangkaskaden im Personalstil von Cecil Taylor.

Bei den interpretierten Kompositionen mangelt es nicht an improvisatorischen Freiräumen und ein hellwaches Interagieren sorgt für eine engverzahnte Musik. Ein Energiebündel stellt nach wie vor Marilyn Mazur dar. Mit afroamerikanischem als auch mütterlicherseits mit polnischem Blut in den Adern, wurde sie 1955 in New York geboren, kam als Kind nach Dänemark und erlangte in der zweiten Hälfte der 80er Jahre globale Bedeutung durch ihre quirlige Perkussionsarbeit bei der Cool- und Elektro-Jazz-Legende Miles Davis.

Von Dänemark reiste das Trio mit dem Flugzeug an – da war es Marilyn Mazur nicht möglich, ihr eigenes Instrumentenarsenal mitzubringen. Dank der kollegialen Hilfe durch Ronju Sharkar und Björn Münz vom einheimischen „Ensemble Orient Express“ standen ihr dann doch vielerlei differenzierte Klangerzeuger zur aktuellen Verfügung. Ihr Ehemann Klavs Hovmann stand wieder zwischen den beiden dominierenden Damen quasi als Ruhepol am Kontrabass. Jetzt arbeitete er nicht nur zupfend, sondern auch mit dem Bogen und entlockte seinem korpulenten Tieftöner mit feinen Flageoletts ein reizvolles Gezirpe

Schlippenbach / Ditzner

Mit obskuren perkussionistischen Kleinteilen geht Erwin Ditzner gerne um, und Alexander von Schlippenbach (75) setzt am Piano gleichermaßen Minimalismen ein. Entgegen der Schönklangszertrümmerei in der Free-Jazz-Anfangszeit darf nun kammermusikalische Noblesse aufkeimen. 1966 schockte Alexander von Schlippenbach in der ehrwürdigen Berliner Philharmonie mit seinem radikal-experimentierfreudigen „Globe Unity Orchestra“ die internationale Jazzwelt, heutzutage sind bei ihm harmonische Ruhepunkte und Lyrismen nicht mehr total verpönt. Das schafft er, ohne seine künstlerische Persönlichkeit zu verbiegen.

Aber dass ein einziges Stück eine knappe Stunde dauern kann – dieser Habitus wird von den beiden spielfreudigen Profis nach wie vor gepflegt. So begann der lange Opener mit abstrakten und suchenden Figuren in punktueller Manier, duftig-leichte Partikel schälten sich heraus und diese wurden von knallharten Rhythmen wie bei Bela Bartok abgelöst.

Das Publikum war zum kreativen Mitdenken gefordert: Wie hätte man sich selbst in den jeweiligen musikalischen Situationen verhalten? Aus dem ansonsten als passiv verunglimpften Rezipienten wird somit – rein geistig – ein schöpferischer Aktivist

Paier Valcic

Prinzipiell erfolgt beim Jazz-Art-Festival die Sonntagsmatinee in der bekannten Kunsthalle Würth.  Aus Österreich reisten heuer hierzu der Akkordeonist Klaus Paier und die Cellistin Asja Valcic, die kroatische Wurzeln aufweist, an. Eine perfekt-präzise Darbietung völlig frei von Instrumentenverstärkung und Notenständern. Bei den Eigenkompositionen wusste man nicht, wann der einst notierte Part eigentlich aufhört und das Extemporieren anfängt. Viel Tango gab’s, und Klaus Paier bediente da – wie sein Tastenakkordeon – ebenfalls virtuos das typisch argentinische Bandoneon, welches allerdings von dem Deutschen Heinrich Band in Krefeld erfunden wurde. Daneben französische Valse-Musette und Bluesiges.

Phänomenal geriet der sonor-voluminöse Sound des rein akustischen Violoncellos von Asja Valcic. Ob mit dem Bogen gestrichen oder gezupft – sie entwickelte vielschichtig und polyphon eine orchestrale Klangfülle. Kaum zu glauben, aber genüsslich zu hören. Eine spannungsreiche Angelegenheit. Da Publikum im vollbesetzten Saal war zu Recht begeistert.

Längst ist die klassische Konzertgitarre das Hauptinstrument des mittlerweile 74-jährigen Ralph Towners geworden. Und da tönt der „Oregon“-Gründer eher wie Andrés Segovia als wie Charlie Christian oder Jim Hall. Aber eine wirbellose E-Gitarre bedient der Multi-Instrumentalist auch noch, verbunden im Digitalzeitalter nun mit Notebook und Synthesizer.

„Oregon“ ist ein eingespieltes Team, welches sich aber doch noch auf Notenmaterial stützt. Perkussionist Colin Walcott, der 1984 auf einer Tour in der Nähe von Magdeburg bei einem tragischen Autounfall sein Leben verlor, brachte mit Tabla-Trommeln und einer Sitar subtile indische Klangfarben ein. Der jetzige Drummer Mark Walker betätigt sich mehr als strenger Rhythmiker. Mit dem Kontrabassisten Glen Moore trat Ralph Towner übrigens beim legendären Woodstock-Festival 1969 auf – in der Band von Tim Hardin (1941-1980). Dass da zwei leibhaftige Woodstock-Veteranen unter den Barockengeln und Aposteln musizierten, wussten im randvoll gefüllten Saale wohl die wenigsten „Oregon“-Bewunderer, die schlussendlich die vier Mannen mit Standing Ovations feierten. Sie hatten sich zuvor erfreut an vertrauten Titeln wie „In Stride“, „Green and Golden“, „Witchi-Toi-tu“ oder „Handsome“. Stilistisch huldigt man da mal einem Calypso oder spanischem Flair, intoniert Liedhaftes als auch Abstraktes, bewegt sich tänzelnd im Dreivierteltakt.

Ralph Towner - Foto Kumpf

Neben Towner bleibt Paul McCandless der unverwechselbare Hauptakteur von „Oregon“. Ein Sopransaxophon und das kleinere Sopranino hört man ja oft bei Jazzkonzerten, nicht aber eine Oboe oder das ebenfalls mit einem Doppelrohrblatt bestückte tiefere Englischhorn. So lässt McCandless eine Atmosphäre zwischen John Coltrane auf der einen Seite und Klassik sowie Ethno-Musik auf der anderen entstehen. Das Klangspektrum rundet er noch mit einer konventionellen Bassklarinette und zwei minimalen folkloristischen Flöten ab.

Man darf sich bereits den Termin für das nächste JazzArtFestival in Schwäbisch Hall vormerken: 25. bis 29. März 2015.

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