Enrico Rava „Tribe“ in der Rüsselsheimer Jazzfabrik, 26. Februar 2015

Das Konzert beginnt lyrisch und getragen, als ob die Linie abgesteckt werden müsse, die sich aus der Einleitung entwickelt. Doch dann begeistert der Trompeter Enrico Rava mit seinem Quintett das Publikum in der Rüsselsheimer Jazzfabrik mit einem wahren Soundfeuerwerk. Bis auf einige wenige zerfahrene Passagen, kommunizieren die jungen Musiker mit dem Schlagzeuger und dem Senior an Flügelhorn sowie Trompete traumhaft sicher und sensibel. Ganz selten greift Rava ein, ermuntert den Pianisten zur Fortführung einer ostinaten Begleitung des Posaunisten oder gibt dem Bassisten ein Zeichen für die Vollendung des harmonisch verzwickten und deshalb besonders reizvollen Sololaufes.

„Enrico Rava Tribe“ spielt eine stets spannende und hoch konzentrierte Musik, pendelt immer wieder zwischen swingenden und melodischen Passagen und freien, pulsierenden Improvisationen. Rava liefert sich Duelle in der Zweistimmigkeit mit der Posaune von Gianluca Petrella oder Unisono-Duette. Der junge Pianist Giovanni Guidi wechselt mühelos zwischen wuchtigen Blockakkorden und fließenden, perlenden Läufen, hämmert orgiastisch in die Tasten, zupft hin und wieder die Saiten im Innern des Flügels und schlägt gegen Ende des Konzerts gar zwei Unterarm-Cluster. Bassist Gabriele Evangelista reißt die Saiten des Kontrabasses trocken und knackig in den mitreißenden Soli und lässt die Akkorde in der Begleitung der Bläser marschieren. Schlagzeuger Fabricio Sferra schließlich swingt zwar ungemein, wenn es der Fluss der Komposition erfordert, lässt die Felle seiner Trommeln und die Becken in der Regel aber hart und rasend pulsieren. Neben dem Pulse sorgt er für den Groove.

Petrella gurgelt mit der Posaune, das Mikrophon tief im Trichter seines Instruments. Rava stellt im Ruf-Antwort-Spiel diesen Klangexperimenten seine sanften Flügelhorn-Linien gegenüber oder lässt die Trompete kraftvoll entgegnen, wenn die Posaune in kurzen Akkordstößen die Führung übernimmt. Im Verlaufe des Konzertes werden immer wieder wohlbekannte Melodien zitiert – in der Zugabe gar ein Gassenhauer nahe am melodischen Gerüst. Lyrische und hymnische Passagen sowie Free-Explosionen lassen die Musik atmen, färben skizzenhaft die Klänge der Instrumente und des Ensemblesounds.

 „Tribe“ feiert die Freiheit des Spiels, ohne die Tradition zu verleugnen. In Crescendi nahezu chaotisch wirkende Kollektivimprovisationen stehen neben eindringlichen, cantablen Melodien. Der ständige Wechsel der Stimmungen lässt nie Langeweile aufkommen.

Enrico Rava hat mit der Besetzung seines „Tribe“-Quintetts seine wohl ausdrucksstärkste Formation geschaffen. Ist es der Gegensatz von der abgeklärten Reife des Trompeters und dem ungestümen Drang der jungen Musiker oder ist es deren Unbekümmertheit, die Rava nutzt? Letztlich trägt die musikalische Reife des Pianisten Guidi und des Bassisten Evangelista  ebenso zur Schönheit und Vitalität des Projektes bei, wie das Duo-Spiel Ravas mit dem Posaunisten Petrella.

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