Émile Parisien in Hall: Heftige Intensität und klangliche Nuancen

Der französische Sopransaxophonist Émile Parisien entfachte mit seinem Quartett in der Haller Hospitalkirche noch nie Gehörtes – sicherlich ein unvergesslicher Glanzpunkt der Jazztime-Reihe.

Eigentlich hätte man auf der Bühne der Hospitalkirche Émile Parisien zusammen mit dem Akkordeonisten Vincent Peirani bereits beim letzten Jazz-Art-Festival erleben sollen – die beiden wohl wichtigsten neuen französischen Jazzmusiker derzeit. Doch nun kam der 1982 in der Rotweinstadt Cahours geborene Saxophonist separat nach Schwäbisch Hall, nämlich mit seinem nicht nur von der deutschen Schallplattenkritik hochgelobten Quartett. Im November schließt sich unter dem signifikanten Motto „It must schwing“ hierzulande eine Jazz-Nights-Tour an, bei der unter der Leitung von Émile Parisien ein internationales Oktett das amerikanische Label „Blue Note“ würdigt.

Bei dem vom örtlichen Jazzclub und städtischen Kulturbüro gemeinsam veranstalteten „Jazztime“-Abend präsentierte Parisien „live“ und äußerst vital seinen zusammen mit Julien Touéry (Klavier), Ivan Gélugne (Bass) und Julien Loutelier (Schlagzeug) aufgenommenen Tonträger „Double Screening“. Die meisten Stücke der ACT-CD spielen namentlich auf die heutige Computerwelt an: „Spam“, „Hashtag“, „Malware invasion“ und „Algo“. Vor allem zwei Amerikaner in Paris, nämlich Sidney Bechet und Steve Lacy, ließen in Frankreich einst mit speziellen Sopransaxophontönen aufhorchen. Nun beschränkt sich Émile Parisien auf das Sopran – und bedient sich nicht weiterer Exemplare der von dem Belgier Adolphe Sax erfundenen (aus Metall gefertigten) Holzblasinstrumentenfamilie. Zu Klarinetten greift er schon gar nicht.

Ohne Übertreibung darf man den Auftritt der vier Franzosen vor den über achtzig begeisterten Zuhörern als sensationell bezeichnen. Selbst ausgewiesene Fachleute wie Constanze Haas und Richard Beißer vom bewährten Haller Saxophonquartett wunderten sich und staunten. Die beiden lobten diese allesamt als „hochkarätige Solisten mit einem perfekten Zusammenspiel“ und vernahmen zuvor noch nie gehörte Sounds des Sopransaxophons.

Fürwahr: Émile Parisien, oft wie in Trance wirkend, zauberte mit stets aufgeblasenen Backen faszinierende Mehrklänge, Harmonics und elegante Obertonmischungen – auf dem eigentlich einstimmigen Instrument eine feinnervige Polyphonie der avantgardistischen Art. Zirkularatmung, mit der man nicht enden wollende Klangströme und Melodiesequenzen erzeugen kann, beherrscht heutzutage ohnehin jeder moderne Profi-Bläser.

Mit atemberaubender Virtuosität gingen auch seine drei Kollegen vor, die bei den abrupten Stimmungswechseln der kompositorisch festgelegten Parts und beim improvisatorischen Zusammenspiel bestens interagierten. Pianist Julien Touéry schuf nicht nur edle Minimalismen, sondern schlug auch derbe Cluster in die Steinway-Tasten – und brachte einen chinesischen Reibegong in transzendentale Schwingung. Nicht minder gekonnt gingen zupfend und streichend Ivan Gélugne am Kontrabass und Julien Loutelier am mit diversem Perkussionskram bereicherten Drumset vor.

Furioser Free Jazz, abstrakte Bebop-Phrasen und bewegend Bluesiges, fulminante Attacken und klangmalerische Besinnlichkeit, allerhöchste Intensitätsgrade und zarte Sound-Finessen, Melancholisches und Zupackendes, Geheimnisvolles und Bruitistisches – so wurde es in der Hospitalkirche bei dem „pausenlosen“ Konzert (mit eben nur einem Set) nie langweilig.

Text und Fotografie von Hans KumpfKumpfs Kolumnen

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