Zum Ersten: Emil Mangelsdorff ist ein Ästhet auf dem weiten Feld des modernen Jazz. Zum Zweiten: Charlie Parker war mit seinen verzwickten Harmonien und rasanten Off-Beat-Phrasen schon immer eine Herausforderung für die Saxophonisten. Wenn dann der im April 80 Jahre zählende Emil Mangelsdorff die retardierende Diskontinuität von Parkers abrupten Melodiefragmenten in seine fließenden Linien einbindet, in Spannungsbögen weit schwingen lässt und die Grundharmonien ausreizt, ohne sie ganz zu verlassen, bedarf dies eines verständnisvollen Umgangs mit dem Ursprungsmaterial und einer von Erfahrung geprägten Originalität. Das beweist der Frankfurter mit „Au Privave“, einem Stück, das Parker mit rhythmischen Irritationen zusätzlich versetzt hat. Eine harmonisch reizvolle, gestrichene Passage auf dem Kontrabass steuert Vitold Rek bei, Januzs Stefanski bearbeitet in Breaks und einem kurzen Solo die Felle und Becken in schnellen Schlägen und Pianist Thilo Wagner findet sich mit Mangelsdorff in Unisono-Melodie-Kürzeln zusammen.
Das Konzert des Jazzclubs Rheinhessen in Nieder-Olm belegt in der Homogenität des Klangs, der Sensibilität der Interaktionen und der Raffinesse der Soli eine faszinierende Reife, der auch die Routine nichts anhaben kann.
Emil Mangelsdorff ist ein Meister der Balladen. In ihnen kommt sein singender und warmer Ton auf dem Altsaxophon, der selbst in den überblasenen Akkordfolgen und spitzen High-Notes rund bleibt, besonders zur Geltung. Da zeigt sich der Musiker als Klassiker des modernen Jazz, der nicht ausbricht, sondern sich der ausgewogenen Form verpflichtet fühlt. In „These foolish things” wird der melodische Lauf auf dem Saxophon unterstrichen durch eine „straight“gespielte Bass-Linie, durch sparsam eingestreute Piano-Akkorde und die flexible Besenarbeit auf dem Schlagzeug. Eine lyrische Trio-Passage verziert Thilo Wagner mit einem verspielten Single-Note-Lauf auf den Tasten des Flügels.
Zupackend zeigt sich Wagner in Up-Tempo-Stücken wie dem „Limehouse Blues“ oder „Nica´s dream“, vor allem aber auch in der Miles Davis-Komposition „All Blues“, wo er das Piano-Tremolo nach harten Akkordschichtungen durch Single-Note-Trauben ersetzt. Vitold Rek reizt auf dem gestrichenen Bass mit harmonisch überraschenden Wendungen das Thema aus, Stefanski legt eine rhythmische Basis mit kurzfristig wechselnden Metren. Mangelsdorff beweist sein sicheres Gespür für die „Changes“ genannten Harmoniewechsel. Mit seinem treibenden „Groove“, den einprägsamen Motiven und der emotionalen Stimmung wirkt die Komposition in dieser Quartett-Interpretation fast hypnotisch. Das gilt auch für die mit frenetischem Beifall erzwungene Zugabe, einem „Blues in B“, mit dem das Quartett die Zuhörer auf den Heimweg schickt – nach einem Konzert, das kammermusikalischen, modernen und in dieser Form zeitlosen Jazz in Vollendung präsentierte.