Bands von Otomo Yoshihide und Ken Vandermark bei den „SWR NOWJazz Sessions“
Reinhard Kager, der aus Österreich stammende Baden-Badener SWR-Jazzredakteur, pflegt bekanntermaßen sein Faible für elektronische Filigranarbeit, Der gute alte „swing“ und der „drive“ werden da ad acta gelegt. Aber gerade Donaueschingen mit seinem renommierten Spezialitätenfestival lädt zu einer Begegnung von Jazz-Erfahrungen mit Neuer Musik ein. In der Vergangenheit spannte sich der Bogen bei den Jazzkonzerten von erfrischender Vitalität bis hin zur mehr oder weniger großen Blamage. Heuer verhielt es sich bei den in zwei verschiedenen Schulturnhallen auftretenden Jazzern wie bei den zeitgenössischen Tonkünstlern: Eigentlich nichts Neues.
Die Kaputtspielphase des Free Jazz ist mittlerweile Geschichte – war jedoch sicherlich historisch notwendig. Dass vordergründige, auf Lautstärke basierende Intensität nicht alles ist, demonstrierte zunächst ein Quartett um den japanischen Gitarristen und Elektrozauberer Otomo Yoshihide. Ein Plattenaufleger aus Fernost, für den lästiger Nebengeräuschmüll vom Schellack- und Vinylzeitalter zum künstlerischen Selbstzweck wird.
Leise und langsam, Kratzen und Knistern, Rauschen und Rülpsen – eine Verweigerungshaltung gegenüber einem eventuellen musikalischen Prozess. Vielmehr statische Ruhe zwischen Audio-Autismus und meditativer Melange. Es muss ja nicht immer geschwätziger Aktionismus sein – Konzentration auf Weniges tut auch mal gut.
Kaum etwas zu hören bekam man von Yoshihides japanischer Landsfrau Sachiki M, die lediglich einen Sinusgenerator bediente. Dass man ein Schlagzeug auch sanft streicheln kann (und ein Schießbude passé ist),demonstrierte äußerst nuanciert der Österreicher Martin Brandlmayr. Axel Dörner blies in seine mit Ventilen als auch mit einem „Posaunen“-Zug ausgestattete Trompete vor allem viel Luft hinein, ohne die Lippen zu spitzen. Mit reichlichem Dämpferwechsel schuf der Kölner feine Sound-Changierungen, etwas aufregender wurde es schließlich mit Flatterzunge und mit tiefen „Pedaltönen“. Ein geschlagener Dur-Akkord auf Otomo Yoshihides Gitarre geriet fast zur reaktionären Provokation…
Axel Dörner war noch in die „Territory Band 4“ des 45jährigen Amerikaners Ken Vandermark integriert. Allen Unkenrufen zum Trotz wurde auch hier ausgiebig mit Stille gearbeitet. Als chaotisch muss vergleichsweise Alexander von Schlippenbachs „Globe Unity Orchestra“ anmuten, das ja 1967 und 1970 in der noblen Fürstenberg-Stadt gastierte. Sorgfältig hatte Ken Vandermark vier Stücke konzipiert, sein internationales Ensemble (mit vielen Skandinaviern) studierte diese gewissenhaft ein und interpretierte sie diszipliniert. Eruptive Ausbrüche wie von dem Posaunisten Johannes Bauer, einem alten Wilden, waren jedoch erlaubt.
Ansonsten passierte zwischen punktuellen Strukturen, Swing-Reminiszenzen und Cluster-Ballungen bei den Soli nicht enorm Bemerkenswertes. Ohne Knistern und Knacken ging es auch bei diesem Projekt nicht ab – Lasse Marhaug sei’s gedankt… Dafür durfte Kent Kessler kontrastierend einen konstanten „walking bass“ kreieren. Leider zu sehr im Hintergrund verblieb Drummer Paul Lytton, der sich in Donaueschingen bereits 1972 und 2003 bewährt hatte.
Der in Chicago wohnende Saxofonist und Klarinettist Vandermark entwickelte für das 13köpfige Ensemble eine Musik mit Kraft und Saft – aber auch mit Hirn und Verstand. Und das war gut so. Aber kein phänomenales Ereignis.
(Oktober 2005)