Der Star-Pianist huldigte aktuell dem Evergreen-Schöpfer

Stuttgart. 1998 feierte man weltumspannend den hundertsten Geburtstag von George Gershwin, der bereits im Alter von 38 Jahren einem Gehirntumor erlegen war. Auch Herbie Hancock, Afroamerikaner und bekennender Buddhist, huldigte dem jüdischen Komponisten. Dieser hatte nicht nur in der Oper „Porgy & Bess“ ein großes Empfinden für die Musik der Schwarzen aufgebracht. In der aufwendigen CD-Produktion „Gershwin’s World“ wollte Hancock, am 12. April 1930 in Chicago geboren, freilich keine ohrengefällige Hitparaden-Revue abliefern. Vielmehr wollte er das ganz individuelle Moment der einzelnen Stücke und der ausführenden Künstler-.Persönlichkeiten herausarbeiten. Dem Silberling, bei dem partiell solche Pop-Größen wie Stevie Wonder und Joni Mitchel mitmischten, war viel Erfolg beschieden: in den Charts, aber auch bei der Grammy-Verleihung und beim „Echo“-Musikpreis in Hamburg.

Bereits im November 1999 stellte Herbie Hancock sein (um die Pop-Stars vermindertes) Gershwin-Projekt in Deutschland vor. Zu der Tour „JazzNights“ lieferte er eine Neuauflage. Mehr als eine halbe Stunde lang musste sich das Publikum im ausverkauften Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle gedulden, bis auf der Bühne der erste Ton erklang. Nach Warten auf Hancock & Co. schwätzte der Tastenmeister mittels drahtlosem Mikrofon über Schnitzel, Spätzle und Maultaschen – und seine Musikerkollegen. Immerhin versprüht der 60-Jährige, locker an der Wasserflasche nuckelnd, weiterhin einen jungenhaften Charme. Standards wie „Watermelon Man“ und „Maiden Voyage“ hat er kreiert und sichern ihm bis ans Lebensende saftige Tantiemen, er landete sogar Disco-Knüller, schließlich beschäftigte sich Hancock mit Computer-Musik und interessiert sich heute für die Möglichkeiten des Internets.

Geblieben ist dem Alumnus von Miles Davis die Freude an Interaktion und Kommunikation. So gab es in der Gruppe stets spontane Wechselspiele der motivischen Art. Faszinierende Rhythmen entwickelten nach der Idee von George Gershwin anfangs der Perkussionist Cyro Baptista auf dem einsaitigen Kalebassen-Instrument „Berimbau“ seiner brasilianische Heimat und die versierte Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington. Auf dem Flügel ein beherzten Solo von Hancock, dann aber auf dem Synthesizer künstliche Streicher-Klänge mit der Neigung zum Edelkitsch.

Es muss nicht unbedingt so sein: bei „It Ain’t Necessarily So“ tönt Trompeter Eddie Henderson gedämpft wie Miles Davis, während Eli Degibri auf dem Tenorsaxofon wie John Coltrane betört. Grenzüberschreitend ergehen sie sich aber auch in der tiefen Tradition – und in Geräuschhaftigkeit: halbe Ventile jaulend hier, hymnische Klangströme dort. „Summertime“, ebenfalls Gershwins so genannten „Neger-Oper“ entnommen, war ebenfalls leicht zu identifizieren. Ansonsten gefällt es dem Arrangeur Hancock, die Original-Themen von George Gershwin knitz zu verstecken. Nicht zu überhören war der – kurz mit „Summertime“ gekreuzte – „St. Louis Blues“, aber dieser wurde 1914 von W.C. Handy veröffentlicht. Für Herbie Hancock zählt jedoch dieser Blues-Komponist zu „Gershwin’s World“ – genau so wie (seiner Verve-CD zufolge) auch Maurice Ravel und James P. Johnson.

Weniger perkussive Dominanz, dafür mehr Beseeltheit mit Eddie Henderson auf dem Flügelhorn bei „The Man I Love“. Wie auf der CD erweist sich Kontrabassist Ira Coleman auch „live“ als zuverlässiger Partner. Dabei zeigt Pianist Herbie Hancock immer wieder, wie er Gershwins Welt adaptiert hat, wenn er Phrasen aus dem Klavierkonzert „Rhapsody In Blue“ einfließen läßt. Insgesamt ein kurzes Konzert, aber eines mit und fürs Köpfchen.

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