Ein Ensemble mit Profil

MOSKAU. Im Programmheft vom „1. Internationalen Jazz Festival Moskau“ wurde lediglich der Pianist Mikhail Alperin und der Hornist Arkady Shilkloper angekündigt und stolz darauf verwiesen, dass die beiden die ersten sowjetischen Musiker seien, von denen das Münchener Label ECM eine Platte veröffentlicht habe. Doch auf die Bühne des gegenüber des Kremls gelegenen Estradentheaters brachte das bewährte Duo dann am 1. Juni 1990 einen dritten Mann mit, nämlich den Folkloresänger Sergey Starostin. Im Haus an der Moskwa, in dem tags zuvor in einem Doppelkonzert der legendäre Sun Ra seine mystische Show abziehen durfte, begann die beeindruckende Karriere eines Ensembles mit ganz eigenem Profil. Das „Moscow Art Trio“ wurde zur Sensation von so manchem Festival, und seine Mitglieder überraschten mit einer Reihe von reizvollen CDs auf „JARO Medien GmbH“.

Besonders streng nach Plan geht der ehemalige Bolschoi-Ballett-Orchester-Bläser Shilkloper auf Flügel- und Waldhorn vor – und pocht nie auf das Primat der Spontaneität und der Improvisation. Der in der Ukraine geborene und in Moldawien aufgewachsene Alperin erinnert sich an die Volksmusik seiner diversen Heimatländer sowie an rumänische und jüdische Weisen. Starostin singt gerne russisch inbrünstig von Liebesleid und zeigt sich auf Klarinette und Zither zunehmend als versierter Instrumentalist. Alperin strotzt vor Vitalität, und seine aktionistische Auftritte mit Melodica und Akkordeon kommen nie zu kurz. Barocke Kontrapunktik, archaische Folklore, Jazztradition, Zeitgenössische Tonkunst – all dies findet bei ihm zu einem stimmigen Ganzen. Zu altenSowjetzeiten waren die Jazzmusiker, die ja ohne staatliche Lizenz nicht offiziell auftreten durften, gezwungen, in ihr Repertoire Volksmusikalisches aus dem Riesenreich aufzunehmen. Nunmehr geschieht die Ethno-Fusion freiwillig und sorgt zudem für kulturelle Identität. Außerdem spielte in der UdSSR bereits auch im Jazz-Genre das Musiktheatralische eine unübersehbare Rolle. So kann der verwunderte Rezipient beim „Moscow Art Trio“ viele szenische Gags erleben und sich akustisch durchaus mal wie auf einer Kolchose fühlen – samt Hühnergegacker und Kuhmuhen.

Mikhail Alperin, Arkady Shilkloper und Sergey Starostin, allesamt dem Geburtsjahrgang 1956 angehörig, fanden schließlich in Bremen eine engagierte Plattenfirma: „JARO Medien GmbH“. Mit Grauen erinnert sich Shilkloper an das schlechte Management und die miserable Tonqualität des staatsmonopolistischen Labels „Melodiya“. Der Anfang 1996 live bei einem beifallsreichen Trio-Konzert im Studio 10 des NDR mitgeschnittenen CD („Hamburg Concert“, JARO 4201-2) war die Veröffentlichung „Prayer“ (JARO 4187-2) vom „Moscow Art Trio“ mit einem russischen Folklore-Chor vorausgegangen. Tradition und Weltoffenheit verbinden sich auch hier. Der inzwischen in Oslo lehrende und lebende Alperin betont in einem Stück der nur „Music“ benannten Silberscheibe (JARO 4214-2) titelmäßig in einem Stück: „I am Norwegian“. „Misha“ Alperin zeigt dabei erneut für das Gesamtkonzept der Gruppe verantwortlich. Das breite Spektrum seines künstlerischen Schaffens offenbart er in „Portrait“ (JARO 4227-2), wo er beispielsweise auch für eine norwegische Blaskapelle arrangierte.

Ganz ohne Jazz geht es bei Alperin ab, wenn der Moskowiter Sergey Starostin vereint mit vier Damen „a capella“ russische Folklore intoniert. Die 1999 in der Grey Friars Church von Edinburgh gefertigten Aufnahmen wurden unter dem Titel „Journey“ (JARO 4226-2) publiziert. Dagegen ist Starostin zusammen mit der Band „Freelanders“ auf der CD „Moments“ (JARO 4230-2) rockmusikalisch zu erleben.

Ausführlich wurde das artistische Schaffen Arkady Shilklopers auf der Compact-Disc „Hornology“ (CDBMR 809016) gewürdigt. Leonard Feather lobte einst den universellen Hornisten: „Seine Kontrolle des Instruments und seine Kreativität als Bläser haben einen Standard gesetzt.“

Dass Alperin & Co. von Gerd Ruge in Moskau vor die TV-Linse geholt werden oder mit dem Ex-Präsidenten Gorbatschow zusammen in einer TV-Talkshow auftreten, erscheint mittlerweile geradezu normal. Ein Konzert zum 10-jährigen Bestehen von Mikhail Alperins „Moscow Art Trio“ war auf den 22. April in Bremen angesetzt. Auch das „arte“-Fernsehen lässt sich nicht lumpen: am 22. Juli 2000 bringt der Sender um 23 Uhr einen ausgedehnten Bericht. Wohl bekomm’s – Na sdrowje!

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