Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
„Nuage“ ist vollgesogen mit Zigeuner-Melancholie. Im Gewölbe des Rüsselsheimer Felsenkellers zupft Stochelo Rosenberg die wagemutige Solo-Einleitung mit leicht dissonantem Stakkato sowie die folgenden kleinen Schmuckfiguren und die dramatischen Tremolos voll melodischen Zaubers virtuos. Kein Wunder, dass diese Django Reinhardt-Komposition aus dem Jahr 1940 zur Lieblings- und Erkennungsmelodie des legendären Belgiers wurde, der damals als einziger Europäer den amerikanischen Jazzgitarristen Paroli bieten konnte. Das Rosenberg-Trio, zwei Brüder und ein Cousin aus der großen Rosenberg-Familie, lassen beim Rüsselsheimer Gemeinschaftskonzert des Folk- und Jazzclubs Dorflinde mit der Jazzfabrik viele Kompositionen Djangos wiederaufleben, ohne den Altmeister direkt zu imitieren. Sie spielen melodisch einfallsreich, nie süßlich, sondern leicht distanziert geschmackvoll.
1981 hat das Trio mit dem Melodiegitarristen Stochelo, dem Rhythmusgitarristen Nous´che und dem Kontrabassisten Nonnie Rosenberg sein erstes Album veröffentlicht. „Von Anfang an, wollten wir nicht Django Reinhardt pur spielen, sondern uns für andere Impulse offen halten“, sagt Stochelo. Das wird an diesem Abend vor allem spürbar in den Eigenkompositionen, die dennoch in der Tradition des berühmten Zigeuner-Gitarristen stehen. Aber „For Sephora“, ein Stück, das Stochelo der einzigen Schwester im Kreis von sieben Brüdern widmet, oder „Made for Isaac“, für seinen Sohn, klingen weniger süffig zugleich aber unbefangener und frecher als die Django-Reinhardt-Interpretationen.
Stochelo Rosenberg ist ein virtuoser Techniker, der selbst in Hochgeschwindigkeitsläufen, in denen das Auge des Zuschauers kaum dem flinken Fingerspiel auf den Saiten zu folgen vermag, stets hochmusikalisch spielt. Mit kraftvollem Anschlag und rasant fließenden Single-Note-Linien, in die er immer wieder Akkordtrauben und kaskadenhafte Arpeggios einschiebt, spielt er gar leichter und präziser als sein großes Vorbild, das wegen seiner verkrüppelten Griffhand eine besondere Gitarrentechnik entwickeln musste. Auffallend ist Stochelos Spiel mit Tonhöhen durch die spannungsvolle, „Bending“ genannte, Veränderung der Saitenlänge sowie die virtuose Vibrato-Technik. Spannung erzeugt das Trio durch Verschleppungen und retardierende oder ostinate Rhythmus- sowie Melodiefiguren. Bewundernswert präzise ist das schlafwandlerische Interplay des Trio, in dem Nous´che den Rhythmus vorgibt und mit Akkordgriffen anreichert während Nonnie den Bass im passenden Tempo „straight marschieren“ lässt.
Dass neben Reinhardt-Standards und Jazz-Klassikern wie Fats Wallers frechem Kabarett-Song „Honeysuckle Rose“ aus dem Jahr 1929 selbst die Eigenkompositionen Stochelo Rosenbergs älter als 20 Jahre sind, mag ein Hinweis darauf sein, dass sich das Trio in den jüngeren Jahren weder technisch noch musikalisch weiterentwickelt, sondern auf hohem technischen wie musikalischen Niveau verharrt. Positiv ausgedrückt: Es bewahrt seine stilistische Alleinstellung. Das Publikum honoriert dies mit frenetischen Beifallsstürmen.